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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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– ohne Pans, ohne moskowitische Offiziere –, und Tausende ehemalige gefangene Ukrainer, die aus Galizien zurückgekehrt waren.
    Und das zusätzlich zu den Zehntausenden Bauern? Oho! Das alles gab es. Der Häftling aber, die Gitarre …
    Bedrohliche Gerüchte sind im Lande.
Es zieht heran …
    Blim-blam … Ach, ach, Nikolka.
    Ein Türke, ein Semstwohusar, Simon. Nein, ihn gibt es gar nicht. Es gibt ihn nicht! Es gibt ihn nicht. Unsinn, Legende, Fata Morgana. Das ist nur ein Wort, in dem ungestillte Wut, bäuerlicher Rachedurst und die Hoffnungen all der treuen Söhne der sonnigen, heißen Ukraine zusammenflossen, die Moskau haßten, wie es auch sein mochte – bolschewistisch, zaristisch oder sonstwie.
    Umsonst, ganz umsonst rief im bedeutungsvollen November, sich an den Kopf fassend, der weise Wassilissa: »Quos vult perdere, dementat!« und verfluchte den Hetman, weil er Petljura aus dem verdreckten Stadtgefängnis freigelassen habe.
    »Unsinn ist das alles. Wenn nicht er, dann ein anderer, und wenn nicht der, dann ein dritter.«
    Die Vorzeichen waren also vorbei, die Ereignisse hatten begonnen. Das zweite Ereignis war nicht so unbedeutend wie die Entlassung des mythischen Mannes aus dem Gefängnis, o nein! Es war so bedeutungsvoll, daß die Menschheit gewiß noch hundert Jahre davon sprechen wird. Die gallischen Hähne mit den roten Hosen im fernen europäischen Westen hatten die dicken eisenbeschlagenen Deutschen fast zu Tode gepickt. Es war ein schrecklicher Anblick: Die Hähne mit den phrygischen Mützen stürzten sich mit Schnarrlauten auf die gepanzerten Teutonen und rissen ihnen Fleischstücke mitsamt dem Panzer ab. Die Deutschen kämpften erbittert, stachen ihre breiten Bajonette in die gefiederten Brüste, bissen mit den Zähnen um sich, hielten aber nicht stand, und die Deutschen – die Deutschen! – flehten um Gnade.
    Das nächste Ereignis war mit diesem eng verbunden und ergab sich aus ihm wie die Folge aus der Ursache. Die ganze niedergeschmetterte und erschütterte Welt erfuhr, daß der Mann, dessen Name und sechs Zoll langer hochgezwirbelter Bart der ganzen Welt bekannt waren und der bestimmt durch und durch aus Metall bestand, ohne die geringste Spur von Holz, daß dieser Mann also gestürzt war. Unwiderruflich gestürzt – er war kein Imperator mehr. Dann rauschte wie ein Wind dunkles Entsetzen über die Köpfe in der STADT: Man sah mit eigenen Augen, wie die deutschen Leutnants verblaßten, wie die Wolle ihrer graublauen Uniformen sich in Sackleinen verwandelte. Und das geschah überraschend schnell, innerhalb weniger Stunden verfahlten die Augen, in den Monokelfenstern der Leutnants erlosch das lebendige Licht, und aus den breiten gläsernen Scheiben blickte löchrige, magere Armut.
    Da ging es wie ein elektrischer Strom durch die Hirne der Klügsten von denen, die mit harten gelben Koffern und üppigen Frauen durch das stachlige bolschewistische Lager in die STADT geschlüpft waren. Sie begriffen, daß das Schicksal sie an die Besiegten band, und ihr Herz füllte sich mit Grauen.
    »Die Deutschen sind besiegt«, sagte das Geschmeiß.
    »Wir sind besiegt«, sagte das kluge Geschmeiß.
    Das begriffen auch die Einwohner der STADT.
    Oh, nur wer selbst besiegt worden ist, weiß, wie dieses Wort aussieht! Es gleicht einem Abend in einem Haus, wo die elektrische Beleuchtung defekt ist. Es gleicht einem Zimmer, auf dessen Tapeten sich grüner Schimmel ausbreitet, voll krankhaften Lebens. Es gleicht rachitischen Dämonenkindern, ranzigem Pflanzenöl, einem schmutzigen Fluch aus einem Frauenmund im Dunkel. Kurzum, es gleicht dem Tod.
    Alles aus. Die Deutschen verlassen die Ukraine. Das bedeutet also, daß die einen fliehen und die anderen, neue, sonderbare, ungebetene Gäste, in der STADT empfangen werden. Und folglich wird manch einer sterben müssen. Jene, die fliehen, werden nicht sterben, also wer wird sterben?
    »Sterben ist kein Augenzwinkern«, sagt schnarrend der plötzlich vor dem schlafenden Alexej Turbin aufgetauchte Oberst Nai-Turs.
    Er hat eine merkwürdige Uniform an: auf dem Kopf einen strahlenden Helm, auf dem Körper einen Kettenpanzer, und er stützt sich auf ein Schwert, so lang, wie es seit den Kreuzzügen keine Armee besessen hat. Ein Heiligenschein folgt ihm wie eine Wolke.
    »Sind Sie im Paradies, Oberst?« fragt Turbin und verspürt ein wonniges Zittern, wie es ein Mensch im Wachen nie verspürt.
    »Ja, im Paradies«, antwortet Nai-Turs mit einer Stimme, rein und

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