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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Augen.
    Im Korridor verabschiedeten sie sich.
    »Gott schütze euch«, sagte Jelena ernst und bekreuzigte Turbin. Sie bekreuzigte auch Karausche und Myschlajewski. Myschlajewski umarmte sie, und Karausche, der den Riemen um den Uniformrock straff gezogen hatte, errötete und küßte ihr zärtlich beide Hände.

    »Herr Oberst«, sagte Karausche, die Hand zum Gruß an den Mützenrand legend und die Sporen zusammenschlagend. »Ich bitte um Erlaubnis, sprechen zu dürfen.«
    Der Herr Oberst saß in einem niedrigen grünen Boudoirsessel hinter einem kleinen Schreibtisch auf einer bühnenähnlichen Erhöhung im rechten Teil des Geschäftsraumes. Ganze Berge bläulicher Kärtchen mit der Aufschrift »Madame Anjou, Damenhüte« türmten sich hinter ihm und verdunkelten etwas das Licht, das durchs verstaubte, mit gemustertem Tüll verhängte Fenster einfiel. Der Herr Oberst hielt eine Feder in der Hand und war in Wirklichkeit kein Oberst, sondern ein Oberstleutnant mit breiten goldenen Achselklappen mit zwei Streifen, drei Sternen und zwei gekreuzten goldenen Kanönchen. Der Herr Oberst war etwas älter als Turbin – etwa dreißig, höchstens zweiunddreißig Jahre. Sein gutgenährtes, glattrasiertes Gesicht zierte ein amerikanisch gestutzter schwarzer Schnurrbart. Die sehr lebhaften und klugen Augen blickten sichtlich müde, doch aufmerksam. Um den Oberst herum herrschte ein Chaos wie bei der Erschaffung der Welt. Zwei Schritte von ihm knisterte das Feuer in einem kleinen schwarzen Ofen; von den verbeulten schwarzen Rohren, die sich hinter eine Trennwand zogen und dort in der Tiefe des Raumes verschwanden, tropfte bisweilen eine schwarze Brühe. Der Fußboden auf dem Podium wie auch im übrigen Teil des Ladens, wo er in merkwürdige Vertiefungen überging, war mit Papierschnipseln und mit Fetzen roten und grünen Stoffes bedeckt. In der Höhe, direkt über dem Kopf des Obersts, klapperte wie ein aufgeregter Vogel eine Schreibmaschine, und als Turbin den Kopf hob, sah er, daß sie hinter einem Geländer sang, das direkt unter der Ladendecke verlief. Hinter diesem Geländer waren Beine und ein Hintern in blauen Reithosen zu sehen, den Kopf aber schnitt die Decke ab. Eine zweite Schreibmaschine zirpte im linken Teil des Ladens, in einer Vertiefung, wo die bunten Achselklappen eines Freiwilligen und ein heller Kopf, aber weder Arme noch Beine zu sehen waren.
    Viele Gesichter und goldene Achselklappen mit Kanonen umflimmerten den Oberst, eine gelbe Kiste mit Telefonhörern und Leitungen stand da, und neben Hutschachteln lagen ein Haufen konservenbüchsenähnlicher Handgranaten mit Holzstielen und mehrere zusammengerolle Maschinengewehrgurte. Unter dem linken Ellbogen des Herrn Oberst stand eine Nähmaschine, und an seinem rechten Bein steckte ein Maschinengewehr seinen Rüssel vor. In der Tiefe des Raumes, im Halbdunkel hinter einem Vorhang, der an einer blanken Stange angebracht war, mühte sich eine Stimme, wohl am Telefon: »Ja, ja, ich spreche. Ich spreche … ja, ja, ich spreche.«
    Kling … machte die Glocke. Ping … sang das sanfte Vögelchen in der Vertiefung, und von dort hörte man einen jungen Baß murmeln:
    »Division, ich höre, ja … ja.«
    »Bitte schön«, sagte der Oberst zu Karausche.
    »Erlauben Sie mir, Herr Oberst, Ihnen Leutnant Viktor Myschlajewski und Doktor Turbin vorzustellen. Leutnant Myschlajewski ist jetzt im zweiten Infanteriebataillon als einfacher Soldat eingetragen und möchte entsprechend seinen Fachkenntnissen gerne in Ihre Division versetzt werden. Doktor Turbin bittet, ihn als Divisionsarzt aufzunehmen.«
    Nach beendeter Meldung nahm Karausche die Hand vom Mützenrand, und Myschlajewski salutierte. Teufel, ich muß so schnell wie möglich eine Uniform anziehen, dachte Turbin ärgerlich, denn er kam sich wie ein dummer Junge vor ohne Mütze und in dem schwarzen Mantel mit Persianerkragen. Die Augen des Obersts streiften ihn flüchtig und blieben auf Myschlajewskis Militärmantel und Gesicht haften.
    »So«, sagte er, »das ist sehr gut. Wo haben Sie gedient, Leutnant?«
    »In der schweren N-Division, Herr Oberst«, antwortete Myschlajewski und wies damit zugleich auf seine Stellung im Krieg mit den Deutschen hin.
    »In der schweren? Ausgezeichnet. Teufel noch mal, warum werden bloß die Artillerieoffiziere in die Infanterie gesteckt? Ein Durcheinander!«
    »Nein, Herr Oberst«, antwortete Myschlajewski und räusperte sich die Kehle sauber, »ich hatte mich freiwillig gemeldet, da der

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