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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Erwärmen.«
    Myschlajewski bezeugte dem Herrn Oberst mit einem angenehmen Lächeln seine Freude und räusperte sich eindringlich. Turbin hörte nicht mehr zu. Er beugte sich über das Geländer und wandte keinen Blick von der weißhaarigen Gestalt, bis sie unten verschwunden war. Leere Trauer erfaßte ihn. Hier an dem kalten Geländer tauchte vor ihm überdeutlich eine Erinnerung auf:
    Eine Menge von Gymnasiasten aller Altersgruppen läuft begeistert durch diesen Korridor.
    Der stämmige Maxim, der Oberpedell, führt energisch zwei kleine schwarze Gestalten an der Spitze dieses wunderlichen Zuges.
    »Nein, nein, nein«, murmelt er, »aus Anlaß der freudigen Ankunft des Herrn Kurators soll sich der Herr Inspektor an dem Anblick von Herrn Turbin und Herrn Myschlajewski erfreuen. Das wird ihnen wahres Vergnügen machen, außerordentliches Vergnügen!«
    Offensichtlich sind die Worte Maxims böse Ironie. Nur einem Menschen mit verdorbenem Geschmack könnte der Anblick der Herren Turbin und Myschlajewski Vergnügen bereiten, noch dazu in der freudigen Stunde der Ankunft des Kurators.
    Bei Herrn Myschlajewski, den Maxims linke Hand klammert, ist die Oberlippe schräg gespalten, und der linke Ärmel hängt an einem Faden. Bei Herrn Turbin, den Maxims rechte Hand gepackt hält, fehlt der Gürtel, und die Knöpfe sind nicht nur an der Bluse abgesprungen, sondern auch am Hosenschlitz, so daß die Unterwäsche und selbst der nackte Körper aufs unanständigste den Blicken der anderen preisgegeben sind.
    »Lassen Sie uns los, lieber, lieber Maxim«, flehen Turbin und Myschlajewski und wenden Maxim die blutbeschmierten Gesichter mit den flehenden Augen zu.
    »Hurra! Schlepp ihn weiter, heiliger Max!« rufen hinten die aufgekratzten Gymnasiasten. »Wo gibt’s denn so was, daß man die Kleinen unbestraft verunstaltet!«
    O mein Gott, mein Gott! Damals war Sonnenschein, Lärm und Gepolter. Auch Maxim war damals nicht so weißhaarig, traurig und hungrig wie heute. Damals hatte er auf dem Kopf eine schwarze Schuhbürste, die nur stellenweise mit weißen Fäden durchsetzt war, hatte eiserne Zangen statt der Hände und am Hals eine Medaille, so groß wie ein Wagenrad. Ach, das Rad, das Rad! Ständig fuhr es vom Dorf »B« mit n Umdrehungen los, und nun war es in der steinernen Leere angelangt. O Gott, diese Kälte! Jetzt mußte man verteidigen … Aber was? Die Leere? Den Widerhall der Schritte? Kannst du, Alexander, mit den Regimentern von Borodino das untergehende Haus retten? Werde lebendig, führe sie von der Leinwand herab! Sie würden Petljura schlagen können.
    Turbins Beine trugen ihn von selbst die Treppe hinunter. Maxim! wollte er schreien, dann aber verlangsamte er den Schritt und blieb schließlich ganz stehen. Er stellte sich Maxim in der Kellerwohnung vor, wo die Pförtner wohnten. Sicherlich hockt er zitternd am Ofen, hat alles vergessen und weint vielleicht sogar. Ihm, Turbin, schnürt die Trauer ohnedies die Kehle ab. Man muß auf all das pfeifen. Schluß mit der Sentimentalität! Wir waren unser ganzes Leben lang zu sentimental. Schluß.

    Und dennoch ging Turbin, nachdem er die Feldschere nach Hause geschickt hatte, in einen leeren, düsteren Klassenraum. Kohlschwarz sahen von den Wänden die Tafeln herab. Die Bänke standen in Reihen. Er konnte es sich nicht verkneifen, hob den Pultdeckel und setzte sich. Es ging schwer, war unbequem. Wie nah war die schwarze Tafel! Ja, ich schwöre, das ist dieselbe Klasse oder die daneben, denn aus dem Fenster hat man denselben Ausblick auf die STADT. Dort ist der schwarze, tote Koloß der Universität. Der Pfeil des Boulevards, mit weißen Lichtern gesäumt, die Kästen der Häuser, die Schluchten der Dunkelheit, die Wände, der hohe Himmel …
    Und vor den Fenstern die Oper »Die Nacht vor Weihnachten« in Natur – Schnee und Lichter, zitternd und flimmernd. Gern wüßte ich, warum in Swjatoschino geschossen wird! So harmlos, so entfernt wie durch Watte schießen die Kanonen – bum, bum.
    »Schluß.«
    Turbin klappte den Pultdeckel herunter, ging in den Korridor und von dort an den Wachposten vorbei durchs Vestibül auf die Straße. Am Haupteingang stand das Maschinengewehr. Auf der Straße waren wenig Passanten, große Schneeflocken fielen.

    Der Herr Oberst hatte eine unruhige Nacht. Viele Male mußte er den Weg zwischen dem Gymnasium und dem zwei Schritt entfernten Geschäft der Madame Anjou machen. Gegen Mitternacht lief die Maschine auf vollen Touren. Im Gymnasium

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