Die weiße Garde
schön. Dort herrschte eine merkwürdige, für die nächtliche Stunde direkt unanständige Hast. Durch den Saal, wo die geschmacklosen vergoldeten Stühle standen, lief wie ein Mäuschen über das spiegelnde Parkett ein alter Lakai mit Backenbart. Irgendwo in der Ferne läutete schrill eine elektrische Klingel, klirrten Sporen. Im Schlafzimmer warfen die Spiegel im stumpfen, kronenverzierten Rahmen ein merkwürdiges, unnatürliches Bild zurück. Ein hagerer Mann mit ergrautem Haar und gestutztem Schnurrbart im rasierten, fuchsähnlichen Pergamentgesicht lief in einem reichen Tscherkessenrock mit silberbeschlagenen Patronentaschen vor den Spiegeln hin und her. In seiner Nähe bewegten sich drei deutsche Offiziere und zwei Russen, einer ebenfalls im Tscherkessenrock, wie die zentrale Figur, der andere in einem Uniformrock nebst Reithose, offensichtlich ein Gardekavallerist, auf den Schultern aber hatte er die keilförmigen Hetmanschulterstücke. Sie alle halfen dem Fuchsähnlichen beim Umkleiden. Der Tscherkessenrock, die weite Hose und die Lackstiefel wurden ausgezogen. Der Mann legte die Uniform eines deutschen Majors an und sah nicht schlechter und nicht besser aus als Hunderte andere Majore. Dann öffnete sich die Tür, die verstaubten Schloßportieren gingen auseinander und ließen noch einen Mann in der Uniform eines deutschen Militärarztes durch. Er brachte einen Haufen Verbandpäckchen mit, öffnete sie und verband mit geschickten Händen den Kopf des frischgebackenen deutschen Majors, so daß nur das rechte Fuchsauge und der schmale Mund zu sehen waren, in dem Gold- und Platinkronen blinkten.
Die unanständige nächtliche Hektik im Schloß dauerte noch eine Weile fort. Den Offizieren, die im Saal mit den geschmacklosen Stühlen und im Nebensaal herumlungerten, teilte ein deutscher Offizier in deutscher Sprache mit, Major von Schratt habe sich beim Entladen seines Revolvers unversehens am Hals verletzt und müsse eiligst ins deutsche Lazarett gebracht werden. Irgendwo klingelte das Telefon, und an einer anderen Stelle sang ein Vögelchen – piu! Dann rollte durch das spitzbogige Gittertor der Seiteneinfahrt ein geräuschloses deutsches Auto mit dem roten Kreuz, und der in Mull gewickelte und in den Militärmantel gepackte geheimnisvolle Major von Schratt wurde auf der Bahre hinausgetragen. Die hintere Tür des Autos wurde geöffnet und die Bahre hineingeschoben. Das Auto fuhr los, es brüllte nur einmal gedämpft im Tor.
Im Schloß dauerte die Unruhe und Hast bis zum Morgen, die Lichter brannten in den vergoldeten Sälen und in den Bildergalerien, oft klingelte das Telefon, die Gesichter der Lakaien schienen frech geworden zu sein, in den Augen spielten lustige Funken.
In einem schmalen Zimmerchen im Erdgeschoß erschien ein Mann in der Uniform eines Obersts der Artillerie. Behutsam schloß er die Tür der kleinen weißgetünchten Telefonzentrale, die gar nicht einem Schloßraum glich, nahm den Hörer ab und bat das schlaflose Fräulein vom Amt, ihm die Nummer 212 zu geben. Er sagte »merci«, zog besorgt und streng die Augenbrauen zusammen und fragte gedämpft und vertraulich:
»Ist dort der Stab der Mörserdivision?«
Leider konnte Oberst Malyschew nicht bis halb sieben schlafen, wie er es vorgehabt hatte. Schon um vier sang das Vögelchen im Geschäft der Madame Anjou hartnäckig los, und der wachhabende Junker mußte den Herrn Oberst wecken. Der Herr Oberst war erstaunlich rasch hellwach und begriff sofort alles, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Er war auch dem Junker nicht böse, daß er ihn geweckt hatte. Kurz nach vier wurde er mit dem Motorrad fortgebracht und kehrte gegen fünf zu Madame Anjou zurück. Von schweren Gedanken erfüllt, zog er die Augenbrauen genauso besorgt und streng zusammen wie der Oberst im Schloß, der von der Telefonzentrale aus die Mörserdivision angerufen hatte.
Um sieben Uhr stand auf dem von rosa Lampenglocken beleuchteten Schlachtfeld von Borodino, murmelnd und in der Morgenkälte fröstelnd, die gleiche langgezogene Raupe, die gestern die Treppe empor auf Alexander zustrebte. Stabskapitän Studzinski stand etwas abseits von ihr in einer Gruppe von Offizieren und schwieg. Merkwürdig: In seinen Augen lag derselbe schräge Widerschein der Unruhe wie in denen des Obersts Malyschew seit vier Uhr morgens. Wer jedoch den Oberst und den Stabskapitän in dieser berühmten Nacht genau beobachtet hätte, würde sofort einen Unterschied festgestellt haben: In
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