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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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seinen Kopf durchfuhr und als ob er von dem Herrn Oberst noch wichtigere und interessantere Mitteilungen erwartete.
    »Ja, ja«, begann der Oberst, und seine Wange zuckte, »ja, ja … Wie wäre es mir ergangen, wenn ich mit einer solchen Truppe, die der Herrgott mir zugeteilt hat, in den Kampf gezogen wäre? Wie stünde ich da! Was aber bei einem freiwilligen Studenten, einem jungen Junker und zur Not bei einem Fähnrich verzeihlich wäre, ist bei Ihnen, Herr Stabskapitän, unverzeihlich!«
    Dabei durchbohrte er Studzinski mit seinem Blick. In seinen Augen hüpften die Funken echter Gereiztheit, an der Studzinski schuld war. Wieder trat Stille ein.
    »So ist das also«, fuhr der Oberst fort. »In meinem Leben habe ich noch nie große Reden gehalten, aber jetzt werde ich es wohl müssen. Reden wir also! Nun: Ihr Versuch, Ihren Kommandeur zu verhaften, zeigt zwar, daß Sie gute Patrioten sind, er zeigt aber auch, daß Sie … äh … wie soll ich sagen? – unerfahren sind! Kurz: Ich habe keine Zeit, und ich versichere Ihnen«, er betonte es böse und bedeutungsvoll, »Sie haben auch keine. Frage: Wen wollen Sie verteidigen?«
    Schweigen.
    »Wen wollen Sie verteidigen? frage ich«, wiederholte der Oberst drohend.
    Mit Funken großen und warmen Interesses in den Augen trat Myschlajewski aus der Gruppe, salutierte und sagte: »Wir sind verpflichtet, den Hetman zu verteidigen, Herr Oberst.« Seine Augen sahen den Oberst hell und kühn an.
    »Den Hetman?« fragte der Oberst zurück. »Nun gut. Division stillgestanden!« schrie er so laut, daß die Division zusammenfuhr. »Herhören! Der Hetman ist heute gegen vier Uhr morgens, uns alle schmählich unserm Schicksal überlassend, geflüchtet! Geflüchtet wie die erbärmlichste Kanaille und der größte Feigling! Eine Stunde nach dem Hetman ist auch der Befehlshaber unserer Armee, Kavalleriegeneral Belorukow, wie der Hetman in den deutschen Zug geflüchtet. Nicht später als in einigen Stunden werden wir Zeugen einer Katastrophe sein, wenn betrogene und in ein Abenteuer hineingezogene Menschen wie ihr gleich Hunden niedergemetzelt werden. Hört zu: Petljura hat auf den Zugangswegen zur STADT eine mehr als hunderttausend Mann starke Armee, und morgen, was sage ich, noch heute«, der Oberst zeigte auf das Fenster, wo der Schleier über der STADT schon blau zu schimmern begann, »werden die versprengten, zerschlagenen Formationen der bedauernswerten Offiziere und Junker, die von den Stabshalunken und diesen beiden Schurken, die man aufhängen müßte, im Stich gelassen wurden, der gutbewaffneten und zwanzigfach überlegenen Armee Petljuras gegenüberstehen. Hört zu, meine Kinder!« rief mit gebrochener Stimme Oberst Malyschew, der dem Alter nach eher ein älterer Bruder war als ein Vater derer, die da mit Bajonetten bewaffnet standen. »Hört mir zu! Ich, ein aktiver Offizier, der den ganzen Krieg gegen die Deutschen mitgemacht hat, was Stabskapitän Studzinski bezeugen kann, übernehme die ganze Verantwortung! Ich warne euch! Ich schicke euch nach Hause! Verstanden?« schrie er.
    »Jaa … wohl«, antwortete die Masse, und ihre Bajonette wogten. Im zweiten Glied brach ein Junker in lautes, krampfhaftes Schluchzen aus.
    Stabskapitän Studzinski, völlig unerwartet für die ganze Division und wohl auch für sich selbst, bedeckte mit einer merkwürdigen, gar nicht offiziersmäßigen Geste die Augen mit den behandschuhten Händen, wobei ihm die Liste der Division herunterfiel, und weinte.
    Von ihm angesteckt, begannen noch mehrere Junker zu weinen, die Reihen zerfielen, und die Stimme von Radames-Myschlajewski schrie, den wirren Lärm übertönend, dem Trompeter zu:
    »Junker Pawlowski! Blasen Sie das Schlußsignal!«

    »Herr Oberst, erlauben Sie, das Gebäude des Gymnasiums anzuzünden?« sagte Myschlajewski und sah dem Oberst klar in die Augen.
    »Nein, das erlaube ich nicht«, antwortete Malyschew höflich und ruhig.
    »Herr Oberst«, sagte Myschlajewski bewegt, »das Zeughaus, die Geschütze und das Wichtigste«, er wies mit der Hand durch die Tür, wo im Vestibül der Kopf Alexanders zu sehen war, »werden Petljura in die Hände fallen.«
    »Ja«, bestätigte der Oberst höflich.
    »Können wir das verantworten, Herr Oberst?«
    Malyschew drehte sich zu Myschlajewski um, sah ihn aufmerksam an und sagte:
    »Herr Leutnant, in drei Stunden fallen Hunderte von Leben Petljura in die Hände, und das einzige, was ich bedaure, ist, daß ich auch mit dem Einsatz meines Lebens und

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