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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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sogar des Ihren, das noch viel wertvoller ist, ihren Tod nicht aufhalten kann. Ich bitte Sie, mir nicht mehr von Bildern, Geschützen und Gewehren zu sprechen.«
    »Herr Oberst«, sagte der herzugekommene Studzinski, »in meinem Namen und im Namen der Offiziere, die ich zu diesem häßlichen Vorfall angestiftet habe, bitte ich um Entschuldigung.«
    »Gewährt«, antwortete der Oberst höflich.

    Als der Morgennebel über der STADT sich zu zerstreuen begann, standen die stumpfschnäuzigen Mörser ohne Schlösser auf dem Hof des Alexander-Gymnasiums, die Gewehre und Maschinengewehre, auseinandergeschraubt und zerschlagen, lagen an geheimen Stellen auf dem Dachboden verborgen. Im Schnee, in Gruben, in Kellerverstecken lagen Haufen von Patronen, die weißen Lichtkugeln im Korridor und im Saal verstrahlten kein Licht mehr, die weiße Schalttafel hatten Junker unter Myschlajewskis Kommando mit Bajonetten zerschlagen.

    Die Fenster waren schon ganz blau. Und im blauen Licht auf dem Treppenabsatz blieben die beiden letzten stehen – Myschlajewski und Karausche.
    »Ob der Kommandeur Alexej Bescheid gesagt hat?« fragte Myschlajewski besorgt.
    »Natürlich, du siehst doch, daß er nicht gekommen ist«, antwortete Karausche.
    »Können wir heute nicht zu den Turbins gehen?«
    »Nein, am Tage wird’s nicht möglich sein, wir müssen dies und jenes beiseite schaffen. Fahren wir nach Hause!«
    In den Fenstern war das Licht blau, draußen aber schon weiß; der Nebel stieg und zerwehte.

Zweiter Teil

8
    Ja, es war nebelig. Stechende Kälte, Bäume mit zottigen Schneetatzen, dunkel in der mondlosen Nacht und grau gegen Morgen; außerhalb der STADT ferne, mit Blattgoldsternen bedeckte blaue Kirchenkuppeln und bis gegen Morgen, der vom Moskauer Dnepr-Ufer nahte, in unerreichbarer Höhe das die Stadt überragende Wladimir-Kreuz.
    Gegen Morgen erlosch es. Auch die Lichter über der Erde erloschen. Aber der Tag wollte nicht recht beginnen, er versprach, grau zu bleiben und einen undurchdringlichen niedrigen Vorhang über die Ukraine zu ziehen.
    Oberst Kosyr-Leschko erwachte in der Morgendämmerung fünfzehn Werst vor der STADT, als das säuerliche, diesige Licht durch das trübe Fenster in eine Kate des Dorfes Popeljucha drang. Das Erwachen fiel mit dem Wort »Disposition« zusammen.
    Zuerst glaubte er dieses kalte Wort in einem sehr warmen Traum gesehen zu haben und wollte es mit der Hand beiseite schieben. Aber das Wort schwoll an und drang zusammen mit den widerlichen roten Pickeln im Gesicht der Ordonnanz und einem zerknüllten Briefumschlag in die Kate. Seiner Kartentasche mit Plexiglas und Koordinatennetz entnahm Kosyr am Fenster eine Karte, fand darauf das Dorf Borchuny, dahinter Bely Gai, zeichnete mit dem Fingernagel die Gabelung der Straße nach, die auf beiden Seiten mit den Punkten des Buschwerks besät war wie mit Fliegenklecksen, und gelangte zu dem großen schwarzen Fleck – der STADT. Es stank nach Machorka von dem Besitzer der roten Pickel, der auch in Kosyrs Beisein rauchen zu dürfen glaubte, was dem Krieg keinen Abbruch tun würde, und nach dem starken minderwertigen Tabak, den Kosyr selbst rauchte.
    Kosyr sollte sofort in den Kampf ziehen. Er nahm diese Tatsache munter zur Kenntnis, gähnte herzhaft und warf sein kompliziertes Riemenzeug rasselnd über die Schultern. Er hatte im Mantel geschlafen und nicht einmal die Sporen abgenommen. Das Weib umtanzte ihn mit einem Krug Milch. Kosyr trank nie Milch und verschmähte sie auch diesmal. Von irgendwo kamen die Kinder angekrochen. Eines von ihnen, das Kleinste, rutschte mit nacktem Hintern über die Bank zu Kosyrs Mauserpistole, erreichte sie aber nicht, da er sie an sein Koppel schnallte.
    Sein ganzes Leben, bis 1914, war Kosyr Dorfschullehrer gewesen. 1914 zog er mit einem Dragonerregiment in den Krieg und wurde 1917 zum Offizier befördert. Der Morgen des vierzehnten Dezember neunzehnhundertachtzehn sah Kosyr am Fenster als Oberst der Petljuraarmee, und kein Mensch (am wenigsten er selbst) konnte sagen, wie das gekommen war. Gekommen war es, weil der Krieg für Kosyr die Berufung war und die Lehrertätigkeit nur ein lang dauernder großer Irrtum. So geht es oft im Leben. Einer hält zum Beispiel zwanzig Jahre lang Vorlesungen über römisches Recht, und im einundzwanzigsten Jahr stellt sich plötzlich heraus, daß ihm das römische Recht vollkommen fremd ist, er es nicht versteht und nicht liebt, daß er in Wirklichkeit ein guter Gärtner und von brennender

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