Die weiße Hexe
mystischen Kräften fußte. Ich hatte mich vollkommen verheddert in den Fallstricken, die zwischen den zwei Welten gespannt waren. Wem sollte ich glauben? Mir, meinen Gefühlen, Hoffnungen und Ansichten? Oder Milas Mystizismus?
Mila schnalzte angesichts meiner Zerrissenheit mit der Zunge.
„Sister“, sagte sie, „dies ist Afrika, nicht dein saubergewischtes Europa.“ Bevor sie ging, sah sie sich im Wohnzimmer um. Sie zeigte mir eine Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern, die sie auf einer Kommode gefunden hatte: „Wem gehört die?“ fragte sie.
Sunny hatte das häßliche Teil aus hartem grünem Kunststoff offensichtlich vergessen. Sonnenbrillen waren sein Tick, er trug immer wieder andere. Das sagte ich Mila, und sie ließ die Brille in ihrem Gewand verschwinden. „Es ist gut vorzusorgen“, erklärte sie spöttisch.
Als die drei gegangen waren, begann ich die Fotos von Victor, die im ganzen Haus verstreut waren, einzusammeln. Wie ein Robotor lief ich von Zimmer zu Zimmer und nahm sie aus den Rahmen. Es war, als sähe ich meinen Händen dabei zu, wie sie eine Arbeit verrichteten, zu der ich selbst nicht in der Lage war. Die Fotos erzählten die Geschichte unserer Liebe in festgehaltenen Augenblicken des gemeinsamen Glücks. Victor im weißen Anzug im schmalen Kanu, unterwegs in den Sümpfen; Victor mit dem nervösen Abraxas; Victor als leuchtender Fremdkörper auf einem der lauten Märkte; Victor sinnend am Morgen in der Wüste ...
„Du mußt sie verbrennen“, hörte ich Milas eindringliche Stimme.
„Das kann ich nicht!“
„Wenn der Suchmann sich geirrt hat, wirst du neue Fotos von deinem Victor machen, sister“
Victors Uhren und Schmuck, die Kreditkarten, sämtliche Ausweise und seinen Paß legte ich in den Safe in der Bibliothek, wo mir mein eigener Reisepaß in die Hände geriet. Ich überlegte, ob ich ihn lieber bei mir tragen sollte - und legte ihn zurück. Sicherheitshalber.
Schwarze Magie kann keinen Zahlencode knacken, dachte ich. Aus den Bädern und dem Schlafzimmer holte ich Victors Bürsten, Wasch- und Rasierutensilien, raffte seine teure englische Unterwäsche zusammen. Die übrige Kleidung hatte ich Mila mitgegeben.
„Er hat genug Geld, um sich alles neu zu kaufen, sister“, sagte Milas Stimme in meinem Kopf. „Heute nacht nimmst du die Büste vom Altar, gehst, wenn alle schlafen, damit in den Garten, betest zu deiner Schutzgöttin Jemonja und bittest sie um Beistand für deine Liebe und verbrennst alles.“
Aus einem der nahen Teiche hörte ich das häßliche, laute Quaken der Ochsenfrösche und aus dem Gras das Zirpen der Zikaden, als ich nachts um eins neben Victors Ahnin im Garten saß und einem lodernden Feuer zusah, in dem jene Dinge ein Raub der Flammen wurden, die mich jeden Tag an ihn erinnert hatten. Im Schein der Flammen glänzte warm das dunkel gemaserte Holz des alten Frauenkopfes mit der mächtigen Haarlocke. Ich dachte an jenen glücklichen Moment, in dem William uns den Kopf gegeben hatte als Zeichen seines Vertrauens. Plötzlich wußte ich, daß ich das Richtige tat. So schwer es mir auch fiel, mich von den materiellen Erinnerungsstücken zu trennen.
Im Schein des Feuers grub ich ein Loch im Garten, in dem ich anschließend Asche und unverbrannte Rückstände versteckte, wie Mila mir geraten hatte. Den Rest der Nacht verbrachte ich auf der Veranda in einem Schaukelstuhl hinter dem Fliegengitter und lauschte in die Dunkelheit hinein. Irgendwann begann ich, mit meinem Bauch zu sprechen. Eine anfangs stumme, später leise Zwiesprache mit dem neuen Leben, von dem ich hoffte, daß es mich für
alle Zeit an den Mann erinnern würde, um dessen Seele ich bangte, weil ich fühlte, daß sein Körper nicht zurückkehren konnte.
Mein Gefühl war zu diesem Zeitpunkt von der Mystik Afrikas bestimmt; aber mein Denken richtete sich nach meinen seit Kindheitstagen antrainierten Schemata. Es wollte wissen, ob die spirituelle Suche Owos das richtige Ergebnis gebracht hatte. Also erklärte ich Abiola, wie er zu dem babalawo, der es regnen lassen konnte, fand, und schlug ihm vor, Mike, den Mann aus Eket, als Begleiter mitzunehmen. Mir selbst war es am wichtigsten, sofort zu einem Gynäkologen zu kommen. Meine Regel war zwar in der Tat seit einiger Zeit überfällig, aber bei dem Klima - und den Aufregungen der vergangenen Wochen - wunderte mich das nicht.
Ich fuhr zu dem Geburtshaus meiner verstorbenen Freundin Yemi, dem einzigen Ort, den ich in Lagos kannte, wo
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