Die weiße Hexe
zunächst seine Füße, dann seine Hände, bis sich sein ganzer Körper in Zuckungen und Krämpfen wand.
Als dieser „Anfall“ vorbei war, tastete er nach einem Bündel zusammengeschnürter Stäbchen, die er wie ein Fernrohr vor ein Auge hielt, das er dann auf die Steine und die Blätter warf. Nach einem Schluck aus einer anderen Flasche sprühte er seinen feuchten Atem über das Ganze und brachte den Kopf nahe an den Boden, um sich alles genau anzusehen. Sein Gesicht wirkte entrückt und gelöst, vielleicht etwas verwundert. Er nahm zwei von den Steinen, hielt sie mir hin. Mila forderte mich auf, die Steine in meine rechte Hand zu nehmen und mich auf Victor zu konzentrieren, um sie Owo dann zurückzugeben. Owo starrte auf die Steine und doch an ihnen vorbei. Er begann einen Singsang, öffnete die Augen und sah durch mich hindurch.
Jetzt erst begann Deinde, der Jüngere der beiden, zu sprechen, was Mila übersetzte: „Dein Mann und sein Vater sind tot. Sie wurden von einer bösen Macht getötet, die ein Feind gegen sie gerichtet hat.“
Tot! Wie endgültig das klang. Vielleicht hätte ich geschrien oder losgeheult, wenn mir der gebügelte Polizist oder sonstwer das gesagt hätte. Aber die Szene war so absurd, daß ich nur mit weit offenem Mund blöde vor mich hin glotzte. Zweifelnd, ungläubig noch, aber bereits mit den ersten Anzeichen einer inneren Panik kämpfend. „Du findest die beiden dort, wo ihr einen weisen Mann besucht habt und nicht die Geduld hattet, seinen Worten zu lauschen. Zwei Fußstunden von dort in Richtung Westen liegt sein Flugzeug im Sumpf. Nur noch das Ende ragt aus dem Wasser, also beeile dich, wenn du es finden willst.“
Woher konnte dieser Owo den Zwischenfall mit dem Regenmacher kennen? Meine Gedanken überschlugen sich: War das nicht der erste Beweis für seine Weissagung? Ich selbst hatte das Flugzeug wesentlich weiter im Westen suchen lassen, bei Port Harcourt.
Ich glaubte einer fremdartigen Vorstellung zuzusehen, als Owo sich auf seiner Matte zusammenrollte, als schliefe er. Mit geschlossenen Augen seufzte, summte, flüsterte er und bewegte ein wenig die Arme. Nach ein paar Minuten stand er auf, warf die Stäbchen in den Topf und verbrannte draußen im Hof alles unter den ehrfürchtigen Blicken der Hausangestellten. Mila erklärte mir, daß ein Suchmann seine Fähigkeit nicht erlernen könne. Sie sei angeboren.
So faszinierend ich auch Owos Talente fand, ich hatte nicht die Kraft, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Der Suchmann hatte mir eine wunderschöne und eine niederschmetternde Botschaft gebracht. Ich sah den Kopf von Victors Uroma und hörte Williams Satz, daß wir auf den Schultern unserer Ahnen stünden. Lag darin die ganze schlichte und doch schreckliche Wahrheit? Wenn ich bereits Victors Baby unter meinem Herzen trug, dann war die Kette des Lebens doch nicht zerrissen! Sollte Sunny tatsächlich dunkle Mächte gegen seinen Neffen aufgeboten haben, so hatte er doch nicht verhindern können, daß ein Teil von Victor weiterlebte - in mir.
Mila setzte sich neben mich und legte ihren Arm um mich. „Sister“,
sagte sie, „die orishas sind stärker als wir Menschen. Aber du mußt ihnen schon ein bißchen bei ihrer Arbeit helfen.“ Wie sollte ich diesen mir immer noch recht fremden Göttern helfen? Zunächst müsse ich Victor vor Sunnys Macht schützen, sagte sie. Und dann mich - und unser Baby. Obwohl noch immer in einer Ecke meines Herzens die Hoffnung brannte, daß Victor lebte, gab sich Mila nach Owos „Suche“ keinen Illusionen mehr hin. Sie akzeptierte Owos Vision als Realität und erklärte mir, daß ein Schwarzmagier danach trachten könne, die Seele des Verstorbenen, die nach so kurzer Zeit noch nicht in den Himmel zurückgekehrt ist, „einzufangen“, um sie für immer zu besitzen.
„Den orishas helfen“ bedeutete, alle persönlichen Dinge Victors an einen sicheren Ort zu schaffen. Vor allem die im ganzen Haus verteilten Fotos müßten sofort verschwinden, die Bürsten, die er benutzt hatte, seine Kleidung, einfach alles! Ich war geschockt. Das bedeutete, ich mußte mir eingestehen, daß Victor tot war! Ich lachte hysterisch und weinte gleichzeitig, nahm die gerahmten Fotos von den Tischen und Sideboards und stellte sie wieder hin.
Orientierungslos schwankte ich zwischen meiner Hoffnung, die auf meinem westlichen Pragmatismus gründete, der mir sagte, daß jemand erst tot war, wenn ich den Beweis dafür hatte, und dem afrikanischen Glauben, der auf
Weitere Kostenlose Bücher