Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
Vom Netzwerk:
Über mir Johns besorgtes, schweißglänzendes Gesicht vor einem erbarmungslos blauen Himmel. Er zerrte mich in eine halbwegs sitzende Position.
    Schwager Moses lag als Häufchen Elend im gelben Gras, mein rechter Knöchel schwoll bereits dick an. Vorsichtig tastete ich nach meiner Schläfe, in der das Blut pochte.
    „John, ich kann nicht mehr.“
    „Okay, okay. Ich werde Hilfe holen.“
    Die Hilfe kam von selbst, lautlos aus dem nahen Wald. Erst zwei, dann vier, schließlich standen fünf fast völlig nackte schwarze Frauen um uns herum. Sie wirkten unwirklich, Traumgestalten gleich. Sie hoben mich hoch, dann Moses, John trabte hinterdrein.
    Sie schafften mich in eine schlichte, dunkle Lehmhütte und legten mich auf eine Matte am Boden, jemand gab mir aus einer Kelle leicht modrig schmeckendes Wasser zu trinken. Draußen hörte ich John mit ihnen reden. Er sprach Yoruba, und ich verstand kein Wort. Endlich kam er rein. Er wirkte sehr besorgt, gab sich aber alle Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen.
    „Ilona, ich muß dich und Moses hierlassen“, begann er, „ich werde allein nach Lagos zurückkehren.“
    „Das kannst du nicht machen, John!“
    „Morgen bin ich zurück. Morgen früh. Ich verspreche es dir. Ich muß ein Auto holen.“
    „Wo willst du ein Auto herkriegen?“
    „Ich kriege eins. Versprochen. Sie werden dir nichts tun. Sei unbesorgt. Sie sind zwar ...“ Er machte eine etwas zu lange Pause.
    „Sie sind etwas anders hier. Aber hier wohnen nur Frauen. Sie werden sich um dich kümmern.“
    Vorsichtig befühlte ich den geschwollenen Knöchel. Die leichteste Berührung schmerzte höllisch. Ich ließ mich auf die Matte am Boden zurückfallen. Meine Güte, was hatte ich der Welt getan, daß ich so büßen mußte! Manövrierunfähig lag ich in einer kahlen Hütte irgendwo im afrikanischen Regenwald.
    Mir schoß der Satz des babalawo durch den Kopf: Du mußt deine Balance finden. Ja, natürlich! Es war so einfach! Ich befand mich nicht im Gleichgewicht! In dem Augenblick, als ich umknickte, war das doch ganz deutlich. Der sterbenskranke Moses hing regelrecht auf mir drauf. Aber war das nicht auch irgendwie ein Symbol für meinen inneren Zustand? Von allen Seiten wurde Druck auf mich ausgeübt. Ich mußte alles gleichzeitig sein: Mutter zweier Kinder, Ernährerin dieser Kinder und deshalb gleichzeitig Managerin in einem schwedischen Konzern, der von mir erwartete, daß ich
    -während ich hier im Urwald darniederlag - seine Maschinen zur Holzverarbeitung verkaufte.
    Damit nicht genug: Ich hatte Vater versprochen, Autos zu verscherbeln. Eine Angelegenheit, die wiederum John sich ausgedacht hatte. Und wo blieb ich? Der babalawo hatte recht: Ich hatte mein inneres Gleichgewicht verloren. In diesem Zustand, und wo John mich obendrein wieder in seine Ehefrau zurückverwandeln wollte, konnte ich unmöglich irgend etwas auf die Beine stellen.

Nicht einmal mich selbst.
    Ich erwachte, als jemand meinen Kopf vorsichtig hochhob und eine Kelle Wasser an meine Lippen schob. Gierig trank ich. Durch den Eingang der Hütte sah ich, daß es draußen dunkel geworden war.
    Ich mußte stundenlang geschlafen haben. In der Hütte brannten blakend zwei Fackeln. Aber trotz dieses warmen Lichts kam es mir vor, als ob die Frau, die mir zu trinken gab, keine Schwarze war. Sie war braun, bräunlich eher, hatte sehr helle blaue Augen, die mich ruhig musterten.
    „Besser?“ fragte sie mich auf deutsch, und ihr schmaler Mund lächelte etwas unsicher, wobei sie eine große Zahnlücke freigab.
    „Ja, danke“, sagte ich mechanisch, ohne darüber nachzudenken, wie eine deutsch sprechende Frau in den Busch kam.
    „Ich habe Ihren Knöchel bandagiert, während Sie geschlafen haben.
    Er sah nicht gut aus“, sagte sie mit einer weichen, dunklen Stimme und lächelte wieder unsicher. „Haben Sie Hunger?“
    „Ich glaube schon“, murmelte ich und richtete mich zum Sitzen auf.
    Mein rechter Unterschenkel war bis zu den Zehen mit grünen Blättern umwickelt. Er fühlte sich angenehm kühl an.
    „Eine große Auswahl an Essen haben wir nicht. Aber das dodo mit
    yams schmeckt gut. Möchten Sie probieren?“
    „Wahnsinnig gern“, sagte ich etwas überschwenglich, ohne meine Wortwahl zu bedenken.
    „Ich hole das Essen“, sagte meine braune Retterin und lächelte scheu. Sie machte jedoch keine Anstalten, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Sie sah mich nur an, lächelnd.
    Irgend etwas stimmte hier nicht ...
    „Essen wäre wirklich

Weitere Kostenlose Bücher