Die weiße Hexe
ich mich oft zu den beiden fahren.
Aber das neu gegründete Geburtshaus lernte ich erst kennen, als mein Hausmädchen Simi nicht mehr zur Arbeit erschien und Ken nicht mit der Sprache rausrücken wollte. Ich fand Simi im boy's
quarter in ihrem Zimmer. Abgemagert und bewegungslos lag sie auf der Matte am Fußboden. Der kleine Raum war von einem unangenehmen Geruch nach Blut und Urin erfüllt. Von mir wollte Simi sich nicht helfen lassen. Also schickte ich nach Yemi, die Simi im Geburtshaus aufnahm.
Für Yemi gehörte Simis Krankheitsgeschichte zur traurigen Routine: Als Simi elf Jahre alt war, wurde sie in ihrem Heimatdorf mit einem viel älteren Mann verheiratet und sofort schwanger. Ihr zarter Körper war von der Schwangerschaft überfordert, ärztlichen Beistand bekam sie nicht. Ihre Wehen dauerten Tage und blieben dennoch wirkungslos: Das Baby starb in Simis Leib. Eine Hebamme entband Simi schließlich durch einen groben Dammschnitt, der Blase und After verletzte. Und wahrscheinlich setzte sie obendrein nicht-sterile Instrumente ein, die die Wunde eitern ließen; es bildeten sich Fisteln. Durch die mißlungene Operation wurde Simi inkontinent, konnte weder Urin noch Stuhl halten. Das erklärte, warum Simi stets aufdringlich nach billigem Parfüm gerochen hatte und sich ständig umzog.
Sie arbeitete bei mir, um Geld für eine richtige Operation zu sparen, die ihr ein menschenwürdiges Leben als junge Frau ermöglichen würde. Denn ihr Mann hatte sie verstoßen. Nachdem Yemi Simi geholfen hatte, konnte sie ihre Arbeit in meinem Haus trotzdem nicht fortsetzen: Ihr geschwächter Körper hatte eine Tuberkulose entwickelt. Ich kam mit Yemi überein, Simi in ihr Heimatdorf zurückbringen zu lassen, damit sie dort gesund werden konnte. Sie heiratete bald nach ihrer Heimkehr wieder und bekam zwei gesunde Kinder.
Simis Nachfolgerin Grace lernte ich im Geburtshaus kennen. Sie war bereits Mitte Dreißig, eine starke Frau, der die Geburt ihres fünften Babys über den Verlust ihres vierten Kindes einigermaßen; hinweghalf. Sie war überzeugt, daß die kleine Mercedes die Wiedergeburt ihrer Tochter Bintu war. Bintu war gerade anderthalb i Jahre alt, als sie verschwand. Zu der Zeit lebte Grace mit ihrem Mann in Ajegunle; er arbeitete als Kloakenträger, sie hatte einen Stand an der Straße, wo sie Zigaretten, Dosenmilch und Tomatendosen ver- kaufte. Die Familie hauste in einer erbärmlichen Hütte.
Dann wurde Grace' Mann krank - Tbc. Grace wußte nicht mehr. ein noch aus. Da hörte sie von einer Organbank, die Nieren kaufte.
Doch sie selbst kam - ebenso wie ihr Mann - wegen ihrer eigenen : angeschlagenen Gesundheit als Spenderin nicht in Frage. Dem ältesten Sohn, damals 15 Jahre alt, verbot der Vater die Nierenspende. Von einem Freund hörte Grace' Mann, daß eine andere Organbank Säuglinge und Kleinkinder suche. Ihre süße Bintu, die so schön zu plappern begonnen hatte, wollte Grace nicht hergeben.
In dieser Zeit erhielten sie auch noch die Hiobsbotschaft, daß die Wellblechsiedlung abgerissen werden sollte. Grace sah sich hektisch nach einer neuen Bleibe um. Als sie heimkehrte, waren ihr Mann ;, und die kleine Bintu verschwunden. Später kehrte er mit einem „ großen Stapel Naira-Scheine zurück. Er hatte Bintu nicht nur eine Niere spenden lassen, sondern das ganze Kind verkauft.
Für eine neue Hütte im Armenviertel. Grace blieb trotzdem bei ihm.
Sie zog nicht in Simis Zimmer, sondern fuhr jeden Abend nach Hause. Ihre kleine Mercedes allerdings ließ sie nicht mehr allein bei ihrem Mann, sondern nahm sie zur Arbeit mit. Vorsichtshalber.
Ich hatte damals noch nicht viel von Beschneidungen in Nigeria gehört, glaubte, daß dieses Thema der Vergangenheit angehörte.
Welch ein Irrtum! Yemi berichtete von Patientinnen, die ihre Babys unter schrecklichen Qualen zur Welt brachten. Und dann erhielt Yemi die Nachricht, daß ihre Nichte, die zwölfjährige Selia, im Heimatdorfschwer erkrankt sei. Ich schwatzte Femi den Dienstwagen ab und fuhr mit Yemi hin.
Die einfachen Verhältnisse in dem Dorf nahe von Ilaro, rund 100
Kilometer westlich von Lagos an der Grenze zu Benin gelegen, schockierten mich nach den Reisen mit John nicht mehr so sehr.
Wir schliefen auf dem Boden des Hauses von Yemis Mutter, einem Lehmbau, dessen Fassade abblätterte. Das Haus hatte zwar weder Klo noch Küche, aber einen Altarraum voller Masken und Kerzen.
Als wir zu Selia kamen, lag das Mädchen hoch fiebernd, von Fliegen bedeckt, am Boden.
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