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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Ich half, ihr Antibiotika einzuflößen.
    In der Nacht erzählte mir Yemi vom Leiden ihrer Nichte: Vor einigen Wochen hatte Selia das erste Mal ihre Tage bekommen. Deshalb sollte sie gemeinsam mit anderen Mädchen beschnitten werden, um dann zur Familie ihres jungen Gatten gebracht zu werden, dem sie schon als Kind versprochen worden war. Das Beschnei-dungsfest wurde groß gefeiert mit gutem Essen, Getränken, Tanzen und Gesang zum Klang der Trommeln.
    Selia wurde entkleidet, ihre Arme auf dem Rücken festgebunden und sie nackt in sitzender Position auf einem niedrigen Stuhl von drei Frauen festgehalten. Eine Frau griff fest um ihre Brust, die beiden anderen zogen ihre Schenkel auseinander, um ihre Vulva weit zu öffnen. Die Hebamme sprach ein Gebet, breitete ein Huhn, Eier und Reis als Opfer für die Götter aus. Mit einer Rasierklinge schnitt die alte Hebamme Selias Klitoris ab - ohne Betäubung und wahrscheinlich auch ohne Desinfektion. Selia wand sich unter höllischen Schmerzen, wehrte sich trotz der Fesselung so stark, daß die Alte abrutschte und die Wunde mehr als nötig vergrößerte.
    Selias Mutter wischte mit den bloßen Fingern das reichlich fließende Blut ab, die anderen Frauen tasteten, ob der Schnitt auch alles Notwendige entfernt hatte. Auf die offene Wunde strich die Hebamme eine Heil-paste aus Kräutern. Die ganze Prozedur dauerte etwa zwanzig Minuten.
    Zur besseren Heilung wurden Selias Beine zusammengebunden.
    Die Bewußtlose legte man auf ein Lager im Frauenhaus. Eine der Operationsfolgen war eine Blasenentzündung: Weil das Urinieren ihr höllische Schmerzen bereitete, hatte Selia das Wasserlassen unterdrückt. Die Mutter holte Selia aus dem Frauenhaus, nachdem die Wunde nicht heilte und Selia ins Delirium gefallen war. In ihrer Not wandte sie sich an ihre Schwester Yemi. Ohne deren Hilfe wäre Selia gestorben, was dann als Gottes Wille ausgelegt worden wäre.
    Die Trauerfeier für ein Mädchen, das am gleichen Tag wie Selia beschnitten worden war, ging am Tag unserer Ankunft gerade zu Ende.
    So entsetzlich mir Selias Leiden auch vorkam, Yemi wußte, daß mir die Pharaonische Beschneidung noch barbarischer erscheinen mußte. Dabei werden die Schamlippen von unten nach oben entfernt und die Innenseite der äußeren Schamlippen ausgeschabt.
    Die Hebamme verbindet die Schamlippen anschließend mit drei oder vier Akaziendornen, Nähgarn hält alles zusammen. Ein Stroh-oder Schilfhalm wird in die verbleibende Öffnung im Narbengewebe gesteckt, um Urin und Menstruationsblut abfließen zu lassen. Yemi gab zu, daß fast alle beschnittenen Frauen ihr Leben lang medizinische Probleme hatten, die eigentlich ständige ärztliche Hilfe erforderten. Eigentlich ...
    Pharaonisch beschnittene Frauen erkannte Yemi schon am Gang: Sie können die Beine nicht richtig zum Gehen anheben, schlurfen.
    Geburten sind nach der Beschneidung meistens eine blutige Qual.
    Trotzdem lassen sich fast alle Frauen hinterher wieder zunähen, um für ihren Mann attraktiv zu sein.
    Yemi erwartete nicht, daß ich ihre Sitten und Gebräuche verstand.
    Ich versuchte, sie von unserer europäischen sexuellen Selbstbestimmung zu überzeugen. „Ihr habt viele Vorurteile, Ilona“, erwiderte Yemi ruhig. „Ich kann mit meiner Beschneidung sehr gut leben.“
    Platsch! Fettnäpfchen! Mir war nicht in den Sinn gekommen, daß Yemi selbst beschnitten sein könnte.
    Yemi blieb ernst. „Ilona, man muß ein Volk doch aus seiner Tradition heraus sehen. Die Beschneidung ist bei meinem Stamm ein uraltes Ritual. Mädchen sind schon durch ihre Freundinnen sozialem Druck ausgesetzt. Kleine Mädchen verlangen danach. Sie glauben, daß die Beschneidung ihre Sexualorgane sauberhält, übelriechende Ausflüsse verhindert, Parasiten fernhält, ja sogar vor Vergewaltigung schützt, zur Empfängnis verhilft und die Niederkunft erleichtert. Und das sind nur die Ansichten der Frauen, Ilona. Die Männer nehmen in manchen Gegenden ohnehin nur eine Beschnittene zur Frau. Aber das weißt du sicherlich.“
    Es war ein Teil von Yemis täglicher Arbeit im Geburtshaus, die Frauen davon zu überzeugen, daß ihre Töchter unbeschnitten später ein leichteres Leben haben würden. Aber sie saß zwischen den Stühlen, zwischen westlicher Aufklärung und afrikanischer Tradition. Ich stellte ihr die Gretchenfrage: „Und deine Töchter, Yemi? Wirst du die auch beschneiden lassen?“
    „Meine Älteste ist bei ihrer Oma aufgewachsen. Meine Mutter hat mich gar nicht erst

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