Die weiße Hexe
gekocht wurde, und begann, ekstatisch zu tanzen, bis ihr Körper unkontrolliert zuckte und sich ihre Augen verdrehten. Die anderen Frauen fingen sie schließlich auf und legten sie sanft auf den Boden. Mit dem Ende von Nitas Tanz hatte auch ich das Feld zu räumen, wurde wieder in die Hütte zurückgebracht.
Der Sinn dieses ganzen Rituals ist mir an jenem Abend nicht klargeworden. Wie ein Puzzle fügte es sich erst später zusammen, als ich meinen Münchner Internisten bat, meine Beinvenen zu untersuchen. Mit Dopplersonographie und Ultraschall stellte er linksseitig ein postthrombotisches Syndrom fest: Ein Blutpfropfen hatte meine Beckenvene in Afrika blockiert gehabt - deshalb war mein Bein so stark angeschwollen. Wäre ich nicht in Nitas Dorf gefahren, hätte ich an dem Blutpfropfen sterben können. So wie
Consultant Mila es in ihrem Orakel gesehen hatte. Durch Milas
„Übersetzung“ meines Eulen-Traums hatte ich zu Nita gefunden.
Nita, davon bin ich überzeugt, war Efe, jene Efe, der ich das Leben gerettet hatte, indem ich sie mit John ins Krankenhaus brachte.
Zum Dank bewahrte sie mich vor dem Tod.
Ein Professor für Völkerkunde an der Uni von Ibadan, dem ich von dem Ritual erzählte, fragte mich, ob am Anfang der Zeremonie eine Puppe zerstört worden sei. Als ich bejahte, erklärte er, daß in diese Puppe ein Geist hineinbeschworen worden war. Dieser Geist hatte mich zu Efe alias Nita gerufen. „Jener Frau, die Sie gerufen hat, haben Sie einen großen Dienst erwiesen“, sagte der Professor, „sie hat den anderen Frauen ihres Konvents bewiesen, daß sie über große geistige Macht verfügt.“
„Und was hat sie davon?“ fragte ich.
„Wenn sie ihr Dorf verläßt, wird sie eine Menge über Heilkunde erfahren haben. Sie kann als Heilerin viel Geld verdienen. Man wird sie bitten, Träume zu deuten, zeremonielle Schlachtungen durchzuführen, wahrzusagen oder bösen Zauber zu bannen. Oder jemanden mit einem Fluch zu belegen. Je nachdem.“
„Das hört sich ja an wie Hexerei“, sagte ich.
Der Professor lachte. „Na, was dachten Sie denn! Sie waren ja auch im Dorf der Hexen. Oder wußten Sie das nicht?“
DAS HERZ DES PRINZEN
Der Zettel auf meinem Schreibtisch stammte von Nickel. Eine kurze Anweisung, daß ich mich am selben Mittag in einer Anwaltskanzlei einzufinden habe. Mit neuen Partnern solle über die Gründung einer weiteren Produktionsstätte verhandelt werden. Die angegebene Adresse lag auf Victoria Island - eine Fahrt quer durch die Stadt.
Doch Femi war nicht aufzutreiben, Nickel hatte ihn eine Besorgungsfahrt machen lassen. Wieder eine neue Schikane, um mich auszubremsen. Eine Stunde lang saß ich wie auf glühenden Kohlen, bis Femi endlich zurückkam.
Ich straffte meine Schultern, hielt meine Akten fest im Griff und marschierte in das noble Büro, einen sexistischen Spruch Nickels erwartend. Die Augenpaare von fünf Männern wandten sich mir zu.
Von den Anwesenden kannte ich zwei: Nickel, der spöttisch lächelte, und den Mann, der sich bei meinem Eintreten schnell erhob und mit ausgebreiteten Armen auf mich zukam.
„Ilona! Habe ich Ihnen nicht gesagt, ich finde Sie auch in Lagos wieder?!“
„Victor! Was tun Sie denn hier?!“
Blöde Frage! Der schöne Mann küßte mich. Vor Nickels Augen. In einer Anwaltskanzlei. Zwar sehr formvollendet auf beide Wangen, aber ich sah in Nickels schmutziger Eselsphantasie, daß er niemals glauben würde, daß diese Küsse einen harmlosen Grund hatten, die Folge eines unschuldigen Flirts bei Londoner Kerzenlicht waren.
Im Laufe der Verhandlungen stellte sich schnell heraus, daß Victor auf der falschen Seite stand: Seine Familie verkaufte ein großes Areal nahe Lagos an Strengfurt, auf dem die zweite Produktionsstätte - diesmal für Kupplungen - hochgezogen werden sollte. Ich mußte dem Dialog der Herren nicht lange folgen, um herauszubekommen, daß die Stimmung frostig war. Der Grund war natürlich Geld. Nickel und sein afrikanischer Partner wollten die Erschließungskosten für das Grundstück plötzlich nicht mehr tragen, sondern zu 25 Prozent vom Kaufpreis abziehen. Und das, obwohl der Vertrag praktisch unterschriftsreif war. Schlechter Stil, aber gern geübte Praxis. Als Nickels Controllerin hatte ich auf seiner Seite zu stehen und saß somit zwischen den Stühlen.
Nach dreistündigem Palavern hatte ich mir beide Stühle unter den Hintern gezogen. Ich mußte nur eins und eins zusammenzählen: Victor verkaufte mit 15prozentigem
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