Die weiße Hexe
Preisnachlaß. Im Gegenzug wurden Strengfurts Produktionsstandorte exklusiv mit Öl beliefert.
Öl, das aus den Raffinerien stammte, an denen Victors Vater Anteile hielt. Das war die wichtigste Erkenntnis: Victors Familie war einer der bedeutendsten Clans im Süden des Landes. Während die Anwaltssekretärin den neuen Vertrag tippte, verabredete sich Victor mit mir zum anschließenden Lunch im vornehmen englischen Polo-Club in Ikoyi, dem benachbarten Stadtteil mit den entzückenden Häusern aus der Kolonialzeit.
Als ich Arm in Arm mit Victor aus der Kanzlei stöckelte, spürte ich die neidischen Blicke Nickels in meinem Nacken. Ein angenehmes Gefühl. Ich war als Verliererin gekommen - und ging als Siegerin.
Mit Victor.
„Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie ein echter Prinz sind, Victor?“ fragte ich ihn, als wir in dem aus der Jahrhundertwende stammenden Treffpunkt der Elite tafelten.
„Was kann ich dafür, daß ich ein Prinz bin? Das ist mir in die Wiege gelegt worden. Um die Anerkennung meiner Mitmenschen muß ich dagegen kämpfen. Wie kann ich das, wenn man weiß, wer ich bin?
Jeder erstarrt in Ehrfurcht. Das ist langweilig, glauben Sie mir!“
sagte er mit seinem leicht blasierten Oxford-Akzent, der mich bei jedem anderen Mann wahrscheinlich gestört hätte. Den schönen Victor machte er unwiderstehlich.
„Ist es für Sie belastend, wenn man weiß, wer Sie sind?“
„Nein. Heute nicht mehr. Ich habe gelernt, damit umzugehen.
Ansehen zu genießen ist sehr angenehm. Ich habe es mir auf der Universität erarbeitet. Respekt, der mir gezollt wird, gilt meiner Person. In erster Linie jedenfalls. Ich wollte nicht - wie einige meiner Vettern - ein Leben als Playboy führen. Das hätte mich zum unnützen Anhängsel meiner Familie gemacht.“
„Sie haben mir damals in London erzählt, daß sich Ihr Vater nie um Sie gekümmert hat. Aber jetzt respektiert er Sie?“
Bevor er antworten konnte, erschien der Ober. „Mögen Sie immer noch so gern Mousse au chocolat, Ilona? Es gibt hier sehr gutes!“
„Das haben Sie sich gemerkt?!“ Ich spürte mein Herz ein paar Takte schneller schlagen.
„O ja, das habe ich.“ Ein langer Blick in meine Augen. Dann -ganz Prinz aus der Oberschicht - zum Kellner: „Bitte zweimal Mousse.“
Ja, Victors Vater respektierte seinen wohlgeratenen Sohn. Und zwar so sehr, daß der mittlerweile fast siebzigjährige Senior ihn als sein ein und alles betrachtete. Der Vater hatte nach der Scheidung von Victors Mutter nicht wieder geheiratet. Victor blieb sein einziger Nachkomme. Ungewöhnlich für einen Afrikaner.
„Sagen Sie bloß, Sie werden mal König Ihres Stammes!“
„Das finden Sie sicher sehr altmodisch, nicht wahr?“
Es verwirrte mich. Schließlich hatte mich noch nie ein künftiger König zum Schokoladenpuddingessen eingeladen!
Victor lachte. „Künftiger König!“ Ein leicht bitterer Zug spielte um seinen gutgeschnittenen Mund. „Ich stand auch schon vor der Tür zu einer Diskothek, in der man mich nicht kannte. Neger dürfen hier nicht rein, fuhr mich der Türsteher an. Ich bin dem Typ heute noch dankbar, auch wenn sich das seltsam anhört. Solche Erfahrungen prägen, weil sie Grenzen aufzeigen. Für die einen bin ich ein künftiger König, für die anderen eben nur ein Neger.“
„Sagen Sie das nicht so, Victor! Die Welt ist voller Dummköpfe!“
„Richtig, Ilona. Und es ist gut, wenn man das am eigenen Leib erfahren hat, bevor man König wird.“
„Sie werden ein guter König.“
„Was ist gut, Ilona? Alles hat zwei Seiten, auch das Gute. Was die einen für gut empfinden, lehnen die anderen ab. Ich möchte beide Seiten sehen können. Aber das ist wohl kaum möglich.
Verantwortungsbewußt, das möchte ich sein.“
Victor war schön, aufmerksam und zurückhaltend, Philosoph und Prinz. Schweigend aß ich mein Mousse und beobachtete, wie er mit seinen feingliedrigen, gepflegten Händen die Serviette nahm und sich den Mund tupfte, um ganz unverfänglich zu fragen: „Haben Sie schon etwas von Nigeria gesehen, Ilona? Oder sind Sie bislang noch nicht aus diesem Lagos herausgekommen?“
Dieses Lagos... Für Victor eine gesichtslose, chaotisch wuchernde Boomtown. Er dachte europäisch, schwärmte von der Schweiz und natürlich von London. Wie seine Mutter, die noch nie in Nigeria gewesen war. Sie hatte in zweiter Ehe ein Mitglied des britischen Oberhauses geheiratet. Das war schon eher Victors Welt, in die er in ein paar Tagen zurückkehren
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