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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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wollte. Doch vorher mußte er in den Norden, nach Kaduna, fliegen. Ich glaubte aus seinem Ton herauszuhören, daß er den Trip nicht gern in Angriff nahm.
    „Waren Sie schon mal im Norden, Ilona?“ Ich verneinte. Mein Herz schlug etwas schneller, als er fortfuhr: „Begleiten Sie mich! Sie sollten den Norden Nigerias unbedingt kennenlernen. Er ist ganz anders als die Gegenden, die Sie kennen“, sagte er auf seine elegante Art in einem beiläufigen Ton. Als ob es um meine geographischen Kenntnisse ging. Sein seidenweicher Blick unter den langen Wimpern schien sich der Bedeutung der Worte nicht ganz bewußt zu sein. Oder doch? Suchte er eine sympathische Reisebegleitung, mit der er sich unangestrengt unterhalten konnte?
    Oder hatte es der aristokratisch kühle Mann mit dem sanften Blick faustdick hinter den Ohren?
    „Wollen Sie dort auch ein Grundstück verkaufen, Victor?“ fragte ich ausweichend. Obwohl die Aussicht auf eine gemeinsame Reise mit diesem Mann in mir natürlich ganz andere Fragen aufwarf...
    „Nein, mein Vater hat dort eine Zeitung. Nichts Großartiges, wie Sie es aus Europa kennen. In diesem Land haben die größten Tageszeitungen
    200 000 Stück Auflage. Selbst in Ibadan, der größten Stadt, in der mehr Menschen als in London leben.“
    „Die Analphabeten?“ vermutete ich, die Konversation recht unkonzentriert fortsetzend.
    „Nein, das Papier. Es gibt nicht genug.“ Pause. „Und die Politik“, fügte er leiser hinzu. „Eigentlich fahre ich hin, weil mein Vater sagt, ich wüßte zuwenig vom Land meiner afrikanischen Vorfahren.
    Damit hat er zweifellos recht.“ Nach einer Pause sagte er erklärend:
    „Nächstes Jahr soll ich Vizepräsident seines Konzerns werden. Da muß ich mich vorher wohl wirklich umsehen.“
    Prinzen reisen komfortabler als Normalsterbliche: Die zweimotorige Privatmaschine von Victors Vater stand bereit, um uns fast 900
    Kilometer weit nach Kaduna zu bringen. Es war das erste Mal, daß ich in eine solche Blechkiste mit Flügeln kletterte, setzte mein Herzschlag doch schon bei jedem Luftloch aus, in das die großen Linienmaschinen sackten.
    In der Maschine, die in der prallen Sonne gewartet hatte, war es drückend heiß. Und sehr eng. Plötzlich befand sich mein Prinz auf Tuchfühlung neben mir. Ein heißkaltes Kribbeln lief mir über den Rücken, meine Hände wurden feucht, und der Schweiß schoß mir aus den Poren. Rumpelnd und kaum gefedert sauste die Maschine über die Piste, stieg steil auf. Welch ein Blick auf Lagos, die Stadt mit den tausend Lagunen, Flußarmen, dem nahen Meer. Wie wundervoll sie liegt! Der Pilot zog eine enge Schleife, legte die Maschine extrem schräg, um nach Norden abzudrehen. Unsere Körper wurden aneinandergedrückt.
    „Haben Sie Angst, Ilona?“ Victor sah mich besorgt an.
    „Ich bin noch nie in so einem Ding gesessen“, gab ich kleinlaut zu.
    Er nahm meine feuchtkalten Hände. Ich schämte mich, vor allem, weil ich nun noch stärker zu transpirieren begann. Ich atmete den frischen Duft seines Parfüms ein und hörte seiner melodischen Stimme zu, die mir etwas über Lagos erzählte. Kluge Sätze über das Bevölkerungswachstum, die vielen Religionen und die Unfähigkeit der Regierungen, die im Widerstreit der Interessen die Stadt sowenig wie das ganze Land in den Griff bekamen. Was zählte all das -
    hier oben? Das Maschinchen sackte zwar alle naslang ab, wurde wieder hochgezogen. Aber ich merkte nicht mehr, daß ich eigentlich um mein Leben hätte fürchten müssen. Victor hielt ja meine Hände.
    Meinetwegen hätte der Flug ewig weitergehen können. Fliegen verbindet. Nun hatte ich das auch am eigenen Leib erlebt...
    Das grüne Land wechselte irgendwann in braunes Land, wüstenartig ausgedörrte Ebene, aus der die abgebrannten Felder wie häßliche schwarze Flecken hervorstachen. Victor berichtete über die vielen Stämme, die weit unter uns ihr schweres Leben fristeten, die vielen Kriege, die um dieses teilweise so ausgetrocknete Land geführt worden waren. Und so bekam ich nebenbei mit, warum wir ausgerechnet nach Kaduna flogen, eine erst 1913 von den Briten aus dem Boden gestampfte Stadt: weil Victors Vater die einstigen Kolonialherren bewunderte. Nichts war es mit der von Yemi beschworenen kulturellen Selbstbestimmung -
    statt dessen eine Stadt vom Reisbrett mit breiten Alleen. Nicht so afrikanisch, wie ich Nigeria kannte.
    Der Zeitungsbau war ein kolonialer Zweckklotz. Mit einer ungewöhnlichen Selbstverständlichkeit nahm Victor

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