Die weiße Hexe
Situationen eher der Frage, ob sie lebend wieder an Land kommt ... Das dunkle Wasser mit seinem leicht modrigen Geruch, die vielen verschiedenen Grüntöne der Bäume und das lautlose Dahingleiten ließen mich meine Befürchtungen bald vergessen.
Vögel mit buntschillerndem Gefieder, die krächzende, pfeifende, lockende Laute ausstießen, durchbrachen die Stille. Wie ein dichter Vorhang verbarg das rankende Grün der Bäume das Innere des Regenwaldes. In schmalen Seitenarmen blinkten wie bei einem verbotenen Blick durchs Schlüsselloch farbenprächtige Wasserblumen.
Hin und wieder sahen wir Fischer, die ihre Netze in weitem Bogen ins Wasser warfen. In einem Seitenarm beobachtete ich einen, der eine eigentümliche Methode hatte, Fische anzulocken: Er streute zuerst ein Pulver auf die Wasseroberfläche. Ich fragte den vor mir gleichmäßig paddelnden Eze, ob das eine rituelle Handlung sei. Und bekam eine Antwort, die ich damals für einen Witz hielt: „Nein, Miß, das betäubt die Fische.“
Ich habe später erfahren, daß es tatsächlich Pflanzen gibt, deren zerstoßene Samenhülsen auf die Kiemen der Fische wirken und die Atmung lähmen. Die Fische treiben dann kieloben auf der Wasser-Oberfläche, wo sie mit einem großen Netz eingesammelt werden.
Eine Methode, die natürlich nur in praktisch stehenden Gewässern wie dem Rand der Lagune eingesetzt werden kann.
Eze lenkte das Kanu ans Ufer und sprang flink an Land. Zeit für den Bummel an ein paar Pfahlbauten entlang - und ein Picknick.
Während sich Chidi abseits hinhockte, setzte sich Eze zu uns. Er erzählte viel von sich, zum Beispiel, daß er katholisch getauft und überhaupt viel westlicher als sein Vetter Chidi sei. Chidi glaubte noch an den „Unsinn“ der Leute vom Fluß. Ich wurde natürlich hellhörig und fragte, was er damit meine.
„Die Krokodile. Wollt ihr sie sehen?“
Natürlich wollten wir! Chidi protestierte zwar, was wir nur an seiner Stimmlage erkannten, aber Eze setzte sich durch. Er versprach sich wohl ein höheres Trinkgeld, wenn er uns etwas action bot. Unsere beiden Paddler lenkten das lange Boot in einen Seitenarm. Die Zweige der Bäume berührten dort fast die Wasseroberfläche. Eze wurde immer gesprächiger. Dies sei das Land der earthspirits,
sagte er, der Erdgeister. Sie benutzten die Körper von Krokodilen, um sich zu tarnen. Die Menschen an den Flüssen verehrten sie und brachten ihnen Opfer. Es gäbe allerdings auch mißgestaltete earth-
spirits, deren Füße rückwärts gerichtet waren. Sie waren zwar nur 80 bis 120 Zentimeter groß, aber so stark, daß sie die Boote der Fischer umwerfen konnten und die Fischer auffraßen.
Wir sahen zwar tatsächlich ein paar Krokodile im Wasser schwimmen, aber sie erschienen mir zu klein, um ein Boot zum Kentern bringen zu können. Tiefer in den Büschen lagen allerdings dickere Exemplare, zwischen zwei und drei Meter lang, die sich einen Mittagsschlaf gönnten.
„Ist wohl noch nicht die Stunde der Geister“, meinte Victor trocken.
„Haben Sie noch ein paar Naira? Dann zeige ich Ihnen den Schrein, an dem für die Krokodile geopfert wird“, schlug Eze vor. Den Protest von Chidi ignorierte er. Das Boot fuhr jetzt durch Wasser, das von einem grünen Teppich aus Algen bedeckt war, auf dem Wasserlilien schwammen. Eze hielt auf eine sandige Stelle zu und sprang elegant an Land. Chidi schimpfte ihn, aber Eze lachte ihn aus. Zur Mittagsstunde seien die Krokodile viel zu faul, um sich zu bewegen, sagte er zu uns. Und bis zum Schrein seien es nur fünf Minuten. Für nur fünfzig Naira sei er bereit, uns etwas zu zeigen, das ein ioyjb o sonst nie zu sehen bekäme. Wir zögerten. Fünfzig Naira, das war ein zweieinhalbfacher Wochenlohn. Es mußte also etwas Besonderes sein ...
Anfangs war der Weg noch gut zu erkennen, doch dann versperrten Ranken die Sicht. Der Boden, vom Wasser getränkt, war weich und vermittelte das Gefühl, auf quietschnassen Wolken zu gehen. Vor einem Busch blieb Eze stehen, mit beiden Armen zerteilte er das Dickicht. Meine Schwester stieß einen spitzen Schrei des Entsetzens aus. Neugierig schob ich meinen Kopf an ihr vorbei.
Umrankt von Blättern, stand dort eine dunkle Schale, in der ein geköpftes Huhn lag. Rund um die Schale waren Reste von Federn und dunkles Blut. Etwas erhöht hing in den Ästen eines Baums eine Maske mit dem aus Holz geschnitzten Kopf eines Krokodils. Der ganze Ort war über und über mit Ungeziefer übersät, Käfern, Maden und dicken
Weitere Kostenlose Bücher