Die weiße Hexe
Fliegen.
„Der earthspirit kommt hierher, um zu essen“, sagte Eze.
„Guten Appetit“, meinte Victor, „wir sollten besser gehen, bevor die Moskitos uns auffressen.“
„Warten Sie!“ rief Eze. „Sie haben die Krokodile noch nicht gesehen. Sie sind im See hinter dem Schrein. Ich locke sie an.“
Aber Victor hatte bereits meine Hand ergriffen und zog mich fort in Richtung Chidi, der schon den Weg zum Kanu zurückging. Ich sah mich zu Monika um, die offensichtlich noch zu den Krokodilen wollte. Von Eze sah ich nichts mehr. Er war bereits im Gestrüpp verschwunden. Ich hörte noch sein: „Cotne, Monika!“
Monika rief uns zu: „Wartet doch noch einen Moment!“
Sie rief es im gleichen Augenblick, in dem wir einen verzerrten, langgezogenen Schrei hörten. Dann herrschte Stille. Eine schreckliche Stille. Im nächsten Augenblick sauste Chidi an uns vorbei, schob die verdutzte Monika zur Seite und war zwischen den Blättern verschwunden. Nun rannten auch Monika und wir los, durch
die Blätterwand hindurch. Wir prallten auf Chidi, der uns seinen Arm entgegenstreckte und vorsichtig zurückwich.
Vor uns lag ein von Ranken überwucherter kleiner See. Dessen Wasser schien zu kochen. Die giftgrüne Flockenschicht auf der Oberfläche spritzte in alle Richtungen. Dazwischen sahen wir die dunkelbraunen Schwanzspitzen von Krokodilen, die auf das Wasser schlugen. Und den braunen Arm eines Mannes, der verzweifelt nach einem Halt suchte, den es nicht gab. Kurz tauchte das grüngesprenkelte Gesicht von Eze aus der Brühe auf und verschwand dann wieder. Chidi schrie etwas, Victor versuchte geistesgegenwärtig, von einem Baum einen Ast abzubrechen.
Biegsam wie Gummi schnellte der Ast zurück. Dann ein spitzer Schrei von Monika. Ihr Arm deutete auf ein Krokodil. Es war nicht sehr groß, vielleicht einen Meter lang, und kroch wieselflink in das Wasser, in dem Eze mit dem Tod kämpfte. Gleichzeitig merkten wir, daß wir bereits bis zu den Knöcheln im Matsch steckten und der Untergrund weiter nachgab.
„Zurück auf den Weg!“ rief Victor.
Gegenseitig halfen wir uns aus dem Sumpf. Verschreckt und zitternd standen wir wieder vor dem häßlichen Krokodil-Schrein und sahen uns ratlos an. Wir befanden uns mitten im Regenwald und hatten keinen Führer, der uns wieder hinausbrachte.
„Wartet bitte. Ich sehe nach, was der andere macht“, sagte Victor.
Ich hatte solche Panik, daß ich nur stumm nickte und Monika in den Arm nahm. Victor sah sich nach einem Ast um, den er mitnehmen konnte, und verschwand in den Blättern. Es dauerte nicht lange, und er trat wieder aus dem Blättervorhang hervor. „Wir gehen zum Schiff zurück“, sagte er und nahm mich bei der Hand. Schweigend marschierten wir durch den Urwald, voller Angst, den Weg nicht zu finden.
„Was ist mit dem anderen Mann, mit Chidi?“ fragte ich Victor schließlich.
„Es wimmelt da vor Krokodilen“, sagte Victor, „ich bin weggelaufen, Ilona. Vielleicht hätte ich ihm helfen sollen. Aber ich tauge nicht zum Helden.“ Er lächelte schief. „Tut mir leid.“
Ich strich sanft über Victors Gesicht. „Eze wußte doch, daß hinter dem Schrein die Krokodile sind. Dann wird er auch gewußt haben, daß den See ein Sumpf umgibt. Er hat sich bewußt in Gefahr gebracht.“
„Für fünfzig Naira, Ilona, hat er sein Leben aufs Spiel gesetzt, um uns etwas zu bieten“, sagte Victor. „Wir wissen nicht mal, ob er Familie hat. Unsinn, natürlich hat er Familie, alle haben hier große Familien.“
Wir beschlossen, eine halbe Stunde im Kanu zu warten, ob Chidi zurückkam. Die Zeit kroch dahin. Schweigend warteten wir in der wundervollen Natur, deren Gefahren wir nicht sahen. Wie auf dem Präsentierteller saßen wir bereit für hungrige Krokodile. Nachdem die halbe Stunde vergangen war, nahm trotzdem keiner von uns die Paddel zur Hand.
Nach einer Ewigkeit erschien Chidi, völlig durchnäßt und von oben bis unten grün. Schweigend zog er ein Krokodil hinter sich her.
Sein Gesicht war eine harte Maske aus Muskeln und Sehnen. Er hatte den Kopf des Krokodils mit einem braunen, lederähnlichen Band - Victor meinte, es stammte von Lianen - verschnürt. Vorder-und Hinterfüße waren zum Rücken hin hochgebunden, so daß das Reptil auf dem Bauch rutschte. Er zog das Krokodil ins Kanu, an das hintere Ende, und bedeutete uns einzusteigen. Zum Krokodil.
Monika nahm den verwaisten Platz des verschwundenen Eze ein, ich ging in die Mitte, Victor setzte sich edelmütig auf den dem
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