Die weiße Hexe
Krokodil nächstgelegenen Platz.
Chidi manövrierte uns geschickt aus dem Seitenarm heraus in das offene Wasser der Lagune. Stehend lenkte er das Boot durch die Mitte des Wassers, das dort mehr Strömung hatte. Ich warf einen Blick zurück auf Chidis verschnürte Beute. Es war ein schönes Tier mit hellbrauner Maserung in dunkler Panzerhaut. Ich versuchte, aus Chidi herauszubekommen, was er mit dem Reptil anstellen wolle. Er schwieg. Für die Rückfahrt brauchten wir höchstens eine halbe Stunde, die Strömung trieb uns mit sich. In Ejinrin, dem Ausgangspunkt des Trips, ließ Chidi das Boot ans Ufer gleiten.
Helfende Hände zogen uns aus dem Kanu. Im Nu waren wir von einer
Menschentraube umringt. Chidi schien ihnen aufgeregt von Eze Schicksal zu erzählen. Einige Männer machten ihre Boote los un paddelten mit großer Geschwindigkeit in die Richtung, aus der wi gekommen waren.
Abiola hatte mit den Doggen in der Nähe der Autos gewartet und die Zeit genutzt, um sich ein bißchen an der Bootsanlegestelle umzuhören. Als wir ihm von Eze berichteten, schien er bereits im Bilde zu sein über die Schauergestalten vom Fluß, deren Füße verkehrt herum am Körper angewachsen waren.
„Was hat er mit dem gefangenen Krokodil vor?“ fragten wir.
„Ich nehme an, er wird es zum babalawo schleppen“, erwiderte Abiola. „Er hält es für jenes Krokodil, das Eze getötet hat. Der
babalawo wird versuchen, den Geist, der in dem Krokodil wohnt, zu besänftigen, damit er die Seele Ezes freigibt.“
Wir sahen uns ratlos an. Vom Wasser her hörten wir das Splittern von Holz. Chidi stand am Ufer und hieb mit einer Axt auf das Kanu ein, mit dem wir gefahren waren. Das Boot lief sofort voll Wasser und sank. „Er will das Boot nicht mehr benutzen“, erklärte Abiola.
Denn der Geist mit den rückwärtsgerichteten Füßen hatte in diesem Boot gelegen. Auch wenn wir nur ein hübsches Krokodil gesehen hatten, das uns auf der Rückfahrt begleitete.
DER WEIHNACHTSFLOP
Seine Geschäfte riefen Victor nach London zurück. Er versprach, nach Weihnachten wiederzukommen, um dann ganz zu bleiben.
Sechs Wochen ohne meinen Prinzen! Die dauernden Streitereien mit Nickel ließen es mir ratsam erscheinen, endlich einen eigenen Wagen zu haben. Ich erstand einen VW Passat, damit Monika, meine Kinder und meine Mutter, die Weihnachten kommen wollten, ohne Pannen durchs Land schaukeln konnten.
Vorher weihte ich das Auto mit Reisen zu zwei spirituellen Orten ein, die ich Monika (und mir) zeigen wollte. Abeokuta, heute ein Meer aus wellblechgedeckten Häusern, ist ein ehemaliger Zufluchtsort von Sklaven. Sie entkamen dorthin auf der Flucht vor den eigenen Königen, die sie ins Ausland - Nordamerika, Haiti, Brasilien - verkauften. Der Ort am heiligen Ogun-Fluß wird von einigen riesigen Felsbrocken überragt, die wirken, als wollten sie die Stadt und ihre Bewohner vernichten. Der Sage nach hatten die Götter das auch tatsächlich vor. Aber Opferungen hielten sie in letzter Sekunde davon ab. Auf einem der Felsen markiert eine Stelle ein blutiges Ritual: Hier wurden Weiße getötet, die den Fels sprengen wollten, weil sie in ihm Gold und Diamanten vermuteten.
Die Österreicherin Susanne Wenger machte den Ort Oshogbo über Afrika hinaus bekannt. Gemeinsam mit nigerianischen Bildhauern begann Frau Wenger in den sechziger Jahren, als sie selbst Anfang Vierzig war, einen heruntergekommenen heiligen Wald am Fluß Oshun zu einem sakralen Kunstwerk umzugestalten. Es entstanden teilweise monumentale, bizarre Häuser und Plastiken aus Zement und Holz, die in der hohen Luftfeuchtigkeit ständig instand gesetzt werden müssen: eine Sisyphus-Arbeit für die Götter.
Der Wald ist das Zuhause der orishas. Ihre Lebensaufgabe hat aus der zarten Weißen eine Priesterin gemacht, die dem Kult der Flußgöttin Oshun dient. Oshun steht in der Ifa-Religion für die weibliche Kraft, Fruchtbarkeit, Kreativität, Sinnlichkeit. Eine freundliche Göttin, die in der griechischen Mythologie ihre Entsprechung in Aphrodite findet. In ihrer haitianischen Voodoo-Variante, die auch in der Gegend um New Orleans zelebriert wird, wurde aus Oshun die mysteriöse Erzulie. Wenn mein religionsinteressierter Prinz aus seinem nebligen London zurückkehrte, wollte ich ihm den mystischen Wald zeigen. Das Leben von Frau Wenger bewies, daß der Yoruba-Glaube Ifa keineswegs eine Religion ist, die nur Afrikanern vorbehalten ist.
Denn diese erstaunliche Frau wird von den Einheimischen als
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