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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Tage fand sie es spannend, ein neues Leben in der Großstadt zu beginnen und ihrem Sohn helfen zu dürfen. Ich hoffte, daß meine Mutter den Wechsel von Niederbayern nach Lagos ebenso locker nahm.
    Auf der Rückfahrt vom Flughafen schwitzten Janet und Bobby in meinem Passat.
    „Puh, Mama, hier ist es aber heiß“, sagte Janet.
    „Ich hab' Durst“, jammerte Bobby.
    „Wann sind wir endlich da?“ quengelte Janet.
    „Ohne Stau eine gute halbe Stunde“, antwortete ich. „Wie lange habt ihr von Niederbayern zum Flughafen in München gebraucht?“
    „Zweieinhalb Stunden, Ilona. Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel Schnee bei uns liegt“, erwiderte Mutti.
    „Wir waren schon ganz oft rodeln“, rief der vierjährige Bobby.
    „Janet hat mit dem Skifahren angefangen“, sagte Mutti.
    „Opa hat mir einen neuen, ganz teuren Skianzug gekauft.“
    Eine gute Idee meines Vaters. Einen neuen Skianzug würde das Kind in Nigeria auf jeden Fall benötigen!
    „Ich hab' Hunger. Halten wir bei McDonald's?“ fragte Bobby.
    Ich sparte mir die Mühe, ihm zu erklären, daß unsere Welt noch nicht so uniform war, daß es in Lagos Big Mac's an jeder Ecke gab.
    „Wir sind bald zu Hause“, beruhigte ich statt dessen. „Das Essen ist bestimmt schon fertig.“
    „Wer kocht denn, Ilona?“ fragte Mutti.
    „Ich habe eine Köchin, Mutti. Sie gibt sich sehr viel Mühe.“
    Aber es hätte auch schmecken müssen. Tessys Huhn war faserig und hart, der Reis klebte, die Sauce war zu scharf. Ein Mahl in schweigsamer Runde, mit spitzen Fingern unwillig auf dem Teller zerpflückt.
    „Gibt's Pudding?“ fragte Bobby.
    Wenn der Junge geahnt hätte, welchen Umstand es bedeutete, hier Pudding nach deutscher Art zu bekommen. Und für welches Geld!
    Trotzdem war es nicht der richtige. Janet nörgelte, daß er nach Seife schmecke, und ließ ihre Schale stehen. Bobby war weniger wählerisch oder einfach nur hungriger. Er verputzte vier Portionen.
    Wenigstens waren Frostyund Sternchen da. Janet stürzte sich mit all ihrer Liebe auf die beiden Miezen. Endlich was Vertrautes ...
    „Wie geht es denn den Hunden? Pinkeln sie noch in die Wohnung?“ fragte Mutti.
    Janet blieb lieber bei den Katzen im Haus, Bobby und meine Mutter gingen mit mir in den Garten zu den Doggen.
    „So 'n großer Garten. Und so verwahrlost, Ilona. Kümmert sich denn da niemand drum?“
    „Doch, Mutti, ich habe sogar einen Gärtner.“
    „Ist der so wie die Köchin?“
    Die Doggen kamen übermütig angerannt, ihre großen Pfoten wirbelten den Staub auf. Und dann stürzten sie auf Bobby zu. Sie hatten ziemlich genau seine Augenhöhe. Bobby floh hinter meine Mutter. „Oma, ich hab' Angst!“ Damit war das Thema Garten für Bobby gestorben.
    Später fragte Janet: „Mama, ist das da unser Weihnachtsbaum?“
    „Ja, er ist süß, nicht?“
    „Opas ist viel größer. Der geht bis zur Decke.“
    „Habt ihr etwa schon Weihnachten gefeiert?“
    „Wir sind ja Weihnachten nicht zu Hause.“
    „Aber wir werden doch hier in eurem neuen Zuhause feiern.“

    „Ach so.“ Unglaublich, daß das Kind in zwei so nichtssagende Worte soviel Enttäuschung reinlegen konnte!
    Der Heilige Abend brachte doch noch einen echten Höhepunkt: einen richtigen Weihnachtsbaum. Zwei Meter hoch, mit grünen -und zwar echten - Nadeln dran. Dazu zwei riesige Pakete. Eines mit Baumschmuck und Girlanden, eines mit Spielzeug für einen Jungen und ein Mädchen und französisches Parfüm für Mutter und mich.
    Ich war nahe dran, selbst noch an den Weihnachtsmann zu glauben. Bis ich dem beiliegenden Brief entnahm, daß dieser Weihnachtsmann Victor hieß.
    Weihnachten, multikulturell, mit sechs Kindern, zwei Großmüttern, zwei verschiedenen Küchen: Tessy kochte für alle afrikanisch, Mutti hielt - so gut es die dürftigen Ressourcen zuließen - deutsch dagegen. Bei den Kindern - und mir - siegte in diesem Wettstreit Mutti um Längen. Und selbst Abiola legte mir nahe, den spionierenden Ron Bernd wieder abzuschwatzen: „Tessy ist eine lausige Köchin!“ Das Fest an sich versuchten wir in eine fröhliche Kinderparty unter Victors Baum zu verwandeln, der seine Nadeln im Rekordtempo ablegte. Meine Kinder blieben sehr still. Meine Hoffnung, daß sich Abiolas Zweitälteste mit der fast gleichaltrigen Janet anfreundete, wurde nicht erfüllt. Die beiden Mädels brachten kaum einen Ton heraus. Bobby musterte seine Umgebung mit großen Augen und versteckte sich hinter Omas Rücken, als all die schwarzen Menschen mit

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