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Die Weiße Rose

Die Weiße Rose

Titel: Die Weiße Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Scholl
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Sonntag, und draußen gehen ahnungslos ungezählte Menschen an den Gittern vorüber, die ersten Strahlen der Frühlingssonne genießend.
    Als Sophie nach ihrer letzten Nacht geweckt wird, erzählt sie, noch auf ihrem Lager sitzend, ihren Traum: »Ich trug an einem sonnigen Tag ein Kind in langem weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trug ich das Kind in meinen Armen. Da plötzlich war vor mir eine Gletscherspalte. Ich hatte gerade noch soviel Zeit, das Kind sicher auf der anderen Seite niederzulegen – dann stürzte ich in die Tiefe.« Sie versucht ihrer Mitgefangenen gleich den Sinn dieses einfachen Traumes zu erklären. »Das Kind ist unsere Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen aber zuvor für sie sterben.«
    Nach kurzer Zeit ist auch ihre Zelle leer, zurück bleibt die Anklageschrift, auf deren Rückseite mit leichter Hand das Wort Freiheit geschrieben ist.
    Meine Eltern hatten am Freitag, einen Tag nach der Verhaftung meiner Geschwister, Nachricht davon erhalten, zuerst durch eine Studentin, mit der wir befreundet waren, später durch den Telefonanruf eines unbekannten Studenten, dessen Stimme schon sehr traurig und dunkel klang. Sie beschlossen sofort, die Verhafteten zu besuchen und alles zu unternehmen, was in ihren Kräften stand, um ihr Los zu erleichtern.
    Aber was konnten sie schon tun in ihrer Ohnmacht? In einer solchen Stunde der Not und Entscheidung glaubt man, Mauern zerbrechen zu müssen. Da das Wochenende dazwischenlag, an dem im Gefängnis keine Besuche erlaubt waren, fuhren sie mit meinem jüngsten Bruder Werner, der unverhofft zwei Tage zuvor aus Rußland auf Urlaub gekommen war, am Montag nach München. Dort wartete am Bahnsteig schon in höchster Erregung Jürgen Wittenstein, der Student, der sie von der Verhaftung telefonisch unterrichtet hatte, und sagte: »Es ist höchste Zeit. Der Volksgerichtshof tagt, und die Verhandlung ist bereits in vollem Gang. Wir müssen uns auf das Schlimmste gefaßt machen.« Dieses Tempo hatte niemand erwartet, und erst später erfuhren wir, daß es sich um ein ›Schnellverfahren‹ handelte, weil die Richter mit dem raschen und schreckensvollen Ende dieser Menschen ein Exempel statuieren wollten. Meine Mutter fragte den Studenten: »Werden sie sterben müssen?« Der nickte verzweifelt und konnte seine Erregung kaum mehr beherrschen. »Hätte ich einen einzigen Panzer«, rief er in ohnmächtigem Schmerz, »und eine Handvoll Leute – ich könnte sie noch befreien, ich würde die Verhandlung sprengen und sie an die Grenze bringen.« Sie eilten zum Justizpalast und drangen in den Verhandlungssaal ein, der voller geladener Nazigäste war. In roter Robe saßen da die Richter, in ihrer Mitte Freisler, tobend vor Wut.
    Still und aufrecht und sehr einsam saßen ihnen die drei jungen Angeklagten gegenüber. Frei und überlegen gaben sie ihre Antworten. Sophie sagte einmal (sie sagte sehr, sehr wenig sonst): »Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.« Die Haltung und das Benehmen der drei Angeklagten war von solchem Adel, daß sie selbst die feindselige Zuschauermenge in ihren Bann schlugen.
    Als meine Eltern eindrangen, war der Prozeß schon nahe dem Ende. Sie konnten gerade noch die Todesurteile hören. Meine Mutter verlor einen Augenblick die Kräfte, sie mußte hinausgeführt werden, und eine Unruhe entstand im Saal, weil mein Vater rief: »Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit.« Aber dann hatte sich meine Mutter rasch wieder in der Gewalt, denn nachher war ihr ganzes Sinnen und Denken nur noch darauf gerichtet, ein Gnadengesuch aufzusetzen und ihre Kinder zu sehen. Sie war wunderbar gefaßt, geistesgegenwärtig und tapfer, ein Trost für alle anderen, die sie hätten trösten müssen. Mein jüngster Bruder drängte sich nach der Verhandlung rasch vor zu den dreien und drückte ihnen die Hand. Als ihm dabei die Tränen in die Augen traten, legte Hans ruhig die Hand auf seine Schulter und sagte: »Bleib stark – keine Zugeständnisse.« Ja, keine Zugeständnisse, weder im Leben noch im Sterben. Sie hatten nicht versucht, sich zu retten, indem sie den Richtern einwandfreie nationalsozialistische Gesinnung vorzuspiegeln versuchten. Nichts dergleichen kam über ihre Lippen. Wer nur eine einzige solche politische Verhandlung während des Dritten Reiches erlebt hat, der weiß, was das bedeutet. Im

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