Die weiße Schmuggler-Jacht
Haus
schien einzustürzen. Brad schrie auf. Holz prasselte zu Boden. Offenbar kippte
ein Stapel hitzetrockner Bretter um. War Brad verletzt? Jetzt schrie auch
Baker. Es hörte sich an wie ein Fluch, der nicht aus der feinsten Gegend New
Yorks stammt. Im schwachen Mondlicht sah Tim, wie eine helle Gestalt auf ihn
zuschnellte.
Der Verfolgte? Wer sonst!
Tim riß den Ellbogen hoch. Aber der
Kerl bemerkte ihn und konnte die Richtung noch abfälschen — in letzter Sekunde.
Immerhin erwischte Tim ihn an der Schulter. Das hob den Mann aus den Schuhen.
Er flog zur Seite, in den Schlagschatten der Mauer. Tim hechtete hinterher. Der
Kerl lag am Boden. Eben richtete er sich in kniender Haltung auf. Tim packte
ihn hinterrücks mit einem Genickhebel, einem sogenannten Doppel-Nelson. Der
Mann gurgelte, versuchte hinter sich zu schlagen und wollte sich aufrichten.
Aber Tim hielt ihn nieder.
Zwei Sekunden dauerte dieser Erfolg.
Dann unterlief Baker ein folgenschwerer Irrtum. Nancys Vater gewahrte
schemenhaft, daß sich in der Dunkelheit bei der Mauer was tat. Der Flüchtende
sei gestürzt, vermutete er, und jetzt im Begriff, seine Flucht fortzusetzen.
Baker raffte ein Brett vom Boden und
schlug damit zu.
Er traf Tim auf den Rücken.
Schmerz raste durch die Arme. Die
Schultern wurden taub. Ihm knickten die Knie ein. Seine Kraft schien auf einer
anderen Insel zu sein — oder noch zu Hause in Deutschland. Wie ausgelutscht
fühlte er sich, und die Arme fielen ab von dem fremden Mann.
Der begriff nicht, was los war. Aber er
nutzte seine Chance und legte einen Tiefstart hin, daß die Absätze knallten. Er
entschwand durchs Tor.
„Verdammt! Das... sind zwei“, keuchte
Baker.
„Nein!“ ächzte Tim. „Ich bin der
andere. Ich hatte den Kerl. Aber Sie haben ihn befreit. Ihr Hieb ist auf mir
gelandet.“
„Was?“
Tim erhob sich, bewegte den Kopf und
die Schultern. Es gelang. Der Schmerz verebbte. Gebrochen war offenbar nichts,
in die Arme kehrte Gefühl zurück.
„Tim, das wollte ich nicht“, stammelte
Baker. „Bist du verletzt?“
„Ich glaube nicht. Wenn Sie meinen Kopf
getroffen hätten, wäre es schlimmer. Ein Jammer ist, daß der Kerl jetzt
entkommt. Ich nehme an, das war der Briefzusteller.“
„Der war s“, bestätigte Joe. „Ich
erkannte ihn und er uns. Wir haben ihn verfolgt bis hierher. Er versteckte sich
hinter einem Berg Bohlen und Stangen — dort in der Hofecke. Den Berg hat er
umgestürzt. Beinahe hätten uns die Bohlen erschlagen.“
Tapp, tapp, tapp, tapp... Tim hörte
schnelle Schritte in der Gasse und sah, wie Klößchen vorbei preschte.
„Hier sind wir!“ rief er, und sein
dicker Freund keuchte heran.
„Habt ihr ihn?“ rief er. Drohend
schwang er die Faust, an der im Mondlicht deutscher Edelstahl aufblitzte.
„Steck dein Messer weg, Willi!“ sagte
Tim. „Der Kerl ist verduftet.“
10. Griechische Götter
Baker, Suzy und die TKKG-Freunde aßen
im Salon der Jacht. Klößchen ließ es sich schmecken und konnte nicht aufhören.
Die andern hatten nur wenig Appetit. Alle Gedanken galten Nancy und wie man ihr
helfen konnte. Suzy betupfte sich immer wieder die Augen. Ihr Mann stocherte in
seinem griechischen Salat herum, nur die schwarzen Oliven schienen ihm zu
schmecken.
„Wenn sie sich wenigstens melden würde“,
seufzte er. „Wir könnten ihr vor Augen führen, in was sie sich verrennt. Sie
bildet sich ein, sie liebe diesen Verbrecher. Weil sie nicht weiß, wie der
wirklich ist. Was er ihr Vormacht, ist Lüge. Er heuchelt. Himmel, warum merkt
sie das nicht?“
„Wer verliebt ist, merkt gar nichts“,
sagte Suzy. „Das war schon immer so. Liebe macht blind. Wenn beide ehrlich
sind, schadet die Blindheit nicht. Aber sobald sich ein Verbrecher wie dieser Mitilini
an der Romanze (Liebesverhältnis) beteiligt, wird das Erwachen grausam.“
„Wir müssen sie finden!“ Baker spießte
eine Olive auf. „Ich werde ein Inserat in die Tageszeitung setzen. Daß Nancy
sich melden soll. Und daß jeder, der was über ihren Aufenthalt angibt, eine
hohe Belohnung erhält. Vielleicht hilft das. Ich glaube nicht, daß Mitilini
Rhodos verläßt. Er muß damit rechnen, daß wir den Flughafen beobachten — ebenso
die Autofähren nach Iráklion und Piräus. Andere Möglichkeiten, von hier
wegzukommen, gibt es nicht.“
„Vielleicht glaubt Mitilini, die Zeit
sei reif“, Gaby blies gegen ihren Pony, „und setzt sich mit Ihnen in
Verbindung. Wenn er Geld dafür will, daß er Nancy freigibt —
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