Die weissen Feuer von Hongkong
Deutscher?«
»Konnte man sagen, ja. Warum staunen Sie so darüber?«
Das Mädchen nahm die Pakete auf und öffnete die Tür. Dabei sagte sie leise, beinahe zu sich selbst: »Ich staune nicht. Nur ... ich mußte daran denken, daß meine Mutter auch Deutsche war.«
Er holte sie ein paar Tage später ab. Sie fuhren aus der Stadt hinaus, an den Rand eines Bambuswaldes, wo sie sich nebeneinander ins Gras setzten, um sich zu erzählen, was bis zu dieser Stunde in ihrem Leben geschehen war.
Wenig später wurde der Major in die Staaten zurückberufen. Seine Frau sorgte dafür, daß Judith bei einer anderen Familie Arbeit bekam. Kolberg war um diese Zeit auf einem Flug nach Singapore. Als er nach Sungshan zurückkehrte, fand er einen Brief von Judith vor, der viele Fehler enthielt, aber über dem Inhalt der Mitteilung bemerkte er sie kaum. Da stand: »Der Oberst, bei dem ich arbeiten sollte, brauchte kein Kindermädchen, sondern eine Frau. Ich bin deshalb in die Stadt gefahren und habe mir im Hotel »Mandarin« Arbeit als Kellnerin gesucht. Du hast mir gesagt, daß du mich liebst. Ich habe es geglaubt. Ich warte deshalb auf dich. Judith.«
Er war eine Stunde später bei ihr, und er blieb in dem Restaurant sitzen, bis sie ihre Arbeit beendet hatte. Später, als sie in ihrem kleinen Zimmer unter dem Dach des Hotels beieinanderlagen, sagte Judith leise: »Ich habe gewußt, daß du kommen wirst. Es ist, als hätte ich vom ersten Tag an in deinen Augen lesen können, was in deinem Herzen vorgeht.«
Er murmelte: »Ich möchte immer so bei dir liegen. Heute, morgen, überhaupt immer. Wenn ich bei dir bin, vergesse ich alles, was mir das Leben verbittert.«
»Und ich vergesse, was ich je gesehen habe. Ich habe viel gesehen, Fred.«
»Ich weiß.«
Sie strich sich das Haar aus der Stirn. »Immer war ich
allein, selbst wenn Dutzende andere Menschen um mich herum waren. Nie war ich wirklich zu Hause. Seit ich mich erinnern kann, war ich überall nur eine Art Gast. Ich bin nirgendwo zu Hause, weder in China noch hier.«
»Du wirst da zu Hause sein, wo ich es bin«, sagte er. »Eines Tages nehmen wir meinen Jungen und gehen nach Deutschland. Nach Hause.«
»Nach Hause«, wiederholte sie. »Das klingt wie ein Traum.«
»Wir werden den Traum wahrmachen, Judith«, versprach er. »Wenn du nur zu mir hältst. Und wenn du nicht den Mut verlierst.«
Das Mädchen dachte daran, daß sie immer Mut hatte aufbringen müssen. Mut, um zu leben, um irgendwo einen halben Fisch zu stehlen, um den Japanern davonzulaufen, um die Arbeit eines Mannes zu tun. Sie hatte Glück gehabt und die schwerste Zeit überstanden. Danach hatte sie noch mehr Glück gehabt, als die Amerikanerin sie anstellte. Und schließlich hatte auch ein wenig Mut dazu gehört, diesem fremden, blonden Flieger von der CAT zu vertrauen.
Vor dem Hotel erstarb der Straßenlärm. Es war spät geworden. Nur ab und zu war noch das Glockensignal einer Rikscha zu hören.
»Mut«, sagte das Mädchen in die Stille. »Ich glaube schon, daß ich Mut genug habe, mit dir zu gehen.«
III
DIE GESTORBENE MORGENSTILLE
Das Land ist rauh, aber gerade darin liegt sein Reiz. Die Gebirge, die es durchziehen, wechseln ab mit dichten, dunklen Wäldern, Flüsse stürzen aus Felsenschluchten hinab und wälzen sich durch weite Ebenen, in denen Reis und Kaoliang wachsen, Baumwolle oder Tabak. An den Küsten hat das Meer tiefe Buchten ausgewaschen, die den leichten Booten der Fischer Schutz geben. Das »Land der Morgenfrische« nennt man Korea. Es zählt zu den ältesten Siedlungsgebieten ganz Asiens. Als im August des Jahres I945 sowjetische Truppen unter Führung des Generalobersten Tschistjakow hier den Sieg gegen die japanischen Armeen erringen, endet eine fünfunddreißigjährige Besatzungszeit für ein Volk, das sich nie ergeben, sondern seinen Bedrückern in ungezählten Kämpfen tapfer Widerstand geleistet hat.
Im Norden des Landes zieht die Demokratie ein. Endlich bekommen Bauern Land, können Kinder von Lohnarbeitern zur Schule gehen, kann man überhaupt von einem menschenwürdigen Leben sprechen. Der Süden wird von einem amerikanischen Militärgouverneur regiert, General John R. Hodge, der sich nach einem geeigneten »eingeborenen« Repräsentanten umsieht, den er dringend braucht, um dem wichtigen strategischen Brückenkopf der USA auf dem asiatischen Festland wenigstens den Anstrich einer Demokratie zu geben.
Es dauert nicht lange, bis diese Marionette gefunden
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