Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman
Tür auf und ging voran zum Besprechungsraum.
Sprachlos schaute Lydia ihm hinterher. Er war ihr Mentor gewesen, hatte sich immer schützend vor sie gestellt, gerade in den Anfangszeiten, als sie sich mühsam ihren Platz in der Männerwelt des Polizeipräsidiums hatte erstreiten müssen. Aber diese Zeiten waren vorbei. Sie war nicht mehr sein kleines Mädchen. Sie schloss eine Sekunde lang die Augen, dann zog sie die Bürotür zu, schloss ab und folgte ihm.
Bis auf Meier und Schmiedel waren bereits alle versammelt und rutschten erwartungsvoll auf ihren Stühlen hin und her.
Heinz Schröder knetete ungeduldig die Finger. »Die lassen sich bestimmt noch das Geständnis unterschreiben.«
»Du glaubst wirklich, dass dieser Mann das Mädchen umgebracht hat?« Gerd Köster schüttelte den Kopf.
»Was weiß ich. Jedenfalls hat der Typ ein ernsthaftes Problem.«
Erik Schmiedel und Reinhold Meier polterten zur Tür herein und unterbrachen die Spekulationen.
Auf einen fragenden Blick von Lydia hin schüttelte Schmiedel den Kopf. »Er hat die Belästigungen der Frauen zugegeben. Ohne Ausnahme, auch den Zwischenfall mit der kleinen Katja. Aber der will er nur geholfen haben. Und von Antonia Bruckmann hat er angeblich nie etwas gehört.«
»Glaubt ihr ihm?« Lydia machte sich eine Notiz auf ihrem Block.
Meier und Schmiedel, die sich inzwischen auf ihren Plätzen niedergelassen hatten, sahen sich an.
»Also, der Erik hält ihn für ehrlich«, sagte Meier. »Ich habe da so meine Zweifel. Ich bin mir sicher, dass der Typ uns was verheimlicht. Vielleicht keinen Mord. Aber irgendwas hat der auf dem Kerbholz, das über die Exhibitionistenkiste hinausgeht.«
»Okay. Ihr bleibt dran. Lasst ihn nicht vom Haken. Kommen wir zur Familie Bruckmann. Salomon und ich waren noch mal da. Diesmal war die Mutter allein zu Hause. Das war sehr aufschlussreich. Antonia ist nicht Michael Bruckmanns Kind.«
»Oho!«, rief Heinz Schröder.
»Das erklärt, warum keine der DNA -Spuren einen Verwandtschaftsgrad mit dem Mädchen aufwies«, sagte Ingo Wirtz. »Immerhin ein Rätsel gelöst.«
»Aber eins, das gleich neue Fragen aufwirft«, wandte Gerd Köster ein und fuhr sich über sein Stoppelhaar. »Hat Michael Bruckmann gewusst, dass er nicht Tonis Vater war? Was ist mit dem leiblichen Vater? Was weiß er? Wo lebt er? Könnte er etwas mit Antonias Tod zu tun haben?«
Chris Salomon blätterte in der Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Das haben wir Nicole Bruckmann natürlich auch alles gefragt. Ihr Mann wusste von Anfang an Bescheid, behauptet sie, und es hat ihm nichts ausgemacht. Und Antonias leiblicher Vater weiß angeblich nichts von seiner Vaterschaft. Er lebt im Ausland, Aufenthaltsort unbekannt.«
Ruth Wiechert hörte auf, auf ihrer Unterlippe zu kauen. »Ist das glaubwürdig?«
»Die Frage ist«, korrigierte sie Erik Schmiedel, »ob wir es glauben müssen. Oder besser gesagt, ob es uns überhaupt interessiert. Wenn Walter Palmerson unser Mann ist, ist es vollkommen irrelevant, wer der leibliche Vater des Mädchens war.«
»Das ist richtig«, sagte Lydia. »Deshalb hätte ich gern ein Stimmungsbild. Wer von euch hält diese neue Sachlage für relevant? Salomon?« Sie wandte sich zu Chris um. Sie wusste zwar bereits, was er dachte, doch sie wollte noch einmal alle Meinungen hören.
»Ich glaube nicht an den Exhibitionisten.« Salomon klopfte mit dem Kuli auf die Akte. »Meiner Meinung nach liegt das Motiv für die Tat in der Familie. Also finden wir den Täter dort. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass es um die Vaterschaft geht.«
Lydia nickte. »Köster?«
»Ich schließe mich im Großen und Ganzen Chris an. Auch wenn ich nicht ganz ausschließen möchte, dass Palmerson doch der Täter ist.«
»Schröder?«
»Der Exhibitionist ist unser Mann.« Schröder verschränkte die Arme. »Wir sollten uns nicht verzetteln.«
»Wirtz?«
Ingo Wirtz drehte den Daumen abwärts. »Unwahrscheinlich, dass der Mord was mit der Vaterschaft zu tun hat. Das Mädchen war zehn. Warum sollte das also plötzlich eine Rolle gespielt haben? Ich würde Bruckmann befragen, um sicherzustellen, dass er es tatsächlich seit Jahren wusste. Womit dieses Motiv ausscheidet.«
»Meier?«
»Vergiss es. Halten wir uns an Palmerson.«
»Schmiedel?«
»Hmm.« Schmiedel warf Meier einen kurzen Blick zu, bevor er antwortete. »Falls wir Palmerson als Mörder ausschließen können, würde ich da noch mal nachhaken.«
»Okay. Wiechert?«
Ruth Wiechert
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