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Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman

Titel: Die weißen Schatten der Nacht: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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schlug.
    Lydia setzte sich auf das Sofa und zog die Beine hoch. Das Herumschnüffeln im Privatleben von drei Familien hatte zwar eine Menge hässlichen Dreck zutage gefördert, sie jedoch nicht auf die Fährte des Mörders gebracht. Letztendlich schien Michael Bruckmann mit seinem ersten Verdacht recht zu behalten. Auch wenn es noch eine Reihe unbeantworteter Fragen gab. Hatte wirklich Palmerson die Vergewaltigung vorgetäuscht? Oder war eine zweite Person an der Tat beteiligt? Vielleicht doch Bruckmann, der geglaubt hatte, seine Frau schützen zu müssen? Warum fand sich nicht eine einzige Spur von Palmerson an dem toten Mädchen? Und wieso hatte sie sich selbst das Gesicht zerkratzt?
    Lydia stutzte. Hatte Nicole Bruckmann nicht erwähnt, dass Antonia Salz schlucken wollte? Und Maren Lahnstein hatte an der Magenschleimhaut Hinweise auf eine chronische Entzündung gefunden. Also hatte sie das vermutlich öfter getan. Und dann waren da noch die verletzten Finger. Lydia leerte das Glas und schenkte nach. Schon merkwürdig: In einer Familie machte die Mutter ihre Tochter krank, und in einer anderen fügte die Tochter sich selbst Schaden zu. Oder steckte hinter Tonis Verletzungen ebenfalls die Mutter? Doch wie hätte Nicole Bruckmann ihre Tochter dazu bringen können, sich selbst das Gesicht zu zerkratzen? Und vor allem, wozu? Außerdem hatte Nicole von sich aus von dem Salz erzählt. Das hätte sie nicht tun müssen. Es sei denn, sie hatte Angst, man könne es bei der Autopsie herausfinden.
    Der Alkohol und die Fragen begannen, in Lydias Kopf zu kreisen. Sie hatte das sichere Gefühl, dass sie ein wichtiges Puzzleteil übersah. Doch sosehr sie sich auch anstrengte, sie bekam es nicht zu fassen.
    Die Musik endete, und die plötzliche Stille fühlte sich unangenehm laut an. Unwillkürlich dachte Lydia, dass Salomon jetzt vermutlich mit seiner Sonja kuschelte und ihr haarklein berichtete, was vorhin im Krankenhaus vorgefallen war; und ihre Gelassenheit war dahin. Sie kippte den Rest Whisky in einem Zug herunter und sprang vom Sofa. In weniger als zwei Minuten hatte sie die Schallplatte weggepackt, ihre Stiefel angezogen und den Parka übergestreift. Sie nahm den Wagen und hielt auf die Innenstadt zu. Dort gab es ein paar Kneipen, in denen sie gewöhnlich fand, was sie brauchte. Natürlich wäre sie auch auf der Bilker Allee fündig geworden, doch die Vorstellung, einen der Typen, mit denen sie es auf der Rückbank ihres Toyota oder im Hotelzimmer trieb, am nächsten Tag beim Einkaufen zu treffen, war der blanke Horror. Deshalb hielt sie sich von den Kneipen rund um die Bilker Allee fern.
    Lydia fand keinen Parkplatz, also hielt sie in zweiter Reihe. Die Schankstube war völlig verräuchert, wofür sie dankbar war. Der Qualm schränkte das Sichtfeld ein und neutralisierte alle anderen Gerüche. Ein Typ an der Theke fasste sie sofort ins Auge, als sie eintrat, doch er war abstoßend fett. Neben ihm saß einer, der ihr besser gefiel. Blonde schulterlange Haare, kantiges, attraktives Gesicht, breite Schultern. Wenn man nicht so genau hinsah, hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit Heath Ledger. Auf den ersten Blick zumindest. Und von Schummerlicht und Zigarettenqualm weichgezeichnet. Sie grinste ihn an, bevor sie sich neben ihn auf den Barhocker zwängte.
    Für eine Sekunde meldete sich ihre Vernunft. Was sie da tat, war dumm und riskant. Schon einmal hätte sie ihre Neigung beinahe Kopf und Kragen gekostet. Doch sie erstickte die mahnende Stimme mit einem Schluck Bier.
    Palmerson hatte es gut beschrieben. »Es hat an mir gezerrt«, hatte er gesagt.
    Sie wusste genau, was er meinte.
    Kerstin Diercke schloss leise die Zimmertür. Nora war eingeschlafen. Endlich. Sie war den ganzen Tag zappelig gewesen wie eine Aufziehpuppe, die jemand überdreht hatte. Nachdem Kerstin vom Polizeipräsidium zurückgekommen war, hatte sie Nora auf einen langen Spaziergang mitgenommen, ohne Tommy, der sie nur ablenkte. Sie hatte versucht, mit Nora zu reden, versucht herauszufinden, ob ihre Tochter ihr noch mehr verschwieg. Doch sie fand keinen Zugang zu ihr. Nora hopste durch Schneematsch und Eispfützen wie eine Vierjährige und gab auf alle Fragen die immer gleichen Antworten. Sie wisse nichts weiter über diese Leonie, sie habe sie seit Wochen nicht gesehen, sie könne sie überhaupt nicht leiden, und sie sei eigentlich nur Tonis Freundin gewesen. Immer wenn Tonis Name fiel, schimmerten Tränen in Noras Augen, auch wenn sie nicht aufhörte, wie

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