Die Weiterbildungsluege
immer wieder begegnen wird. Nämlich bei
der Annahme, Veränderung geht einfach, schnell und fast von ganz allein. Schaut man sich die Personalentwicklungs- |44| und Weiterbildungslandschaft an, dann umfassen zahlreiche Maßnahmen üblicherweise einige Tage. Und wenn jemand solch ein Seminar
besucht, passiert das, was mir jüngst ein Mitarbeiter erzählte. Er bezeichnete seinen Chef wortwörtlich als »arschig«: »Der
wird immer unheimlich schnell persönlich, schreit einen an und macht Stress.« Dieses Verhalten war auch im Unternehmen nicht
verborgen geblieben. Deshalb schickte man ihn auf ein Kommunikationsseminar. Das Team war sehr überrascht, als ihr Vorgesetzter
von dem zweitägigen Training zurückkehrte. Er schien wie ausgewechselt. Ganz entspannt. Doch das Vergnügen währte nur kurz.
Dann war er wieder in der alten Bestform, aus der er sich auch nicht mehr verabschiedete. Die Mitarbeiter hatten ihre Art
gefunden, mit dem Schreihals umzugehen: Sarkasmus.
Vielleicht denken Sie nun, dass dieser cholerische Chef einfach mehr Trainings oder gar ein Coaching bräuchte. Und damit berühren
wir eine sensible Frage in der Weiterbildung. Wann beginnt der therapeutische Ansatz? In der Praxis sind die Grenzen üblicherweise
fließend. Hat nicht jeder hochrangige Manager, der etwas auf sich hält, einen teuren Coach? Doch ob man es nun positiv verhüllt
Coaching nennt oder glasklar Therapie – beides bedeutet einen hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Und machen wir uns
nichts vor. Der schlichte EDV-Mitarbeiter, der in der Zusammenarbeit mit seinem Team die Sozialkompetenz eines Baumstamms
hat, würde sowieso niemals viele Trainings oder gar Coachings bekommen. Dieses Recht gebührt höchstens Führungskräften. Der
Preis ist dann zwar höher, der Erfolg aber fraglich, wie die Erfahrungen des Gebietsverkaufsleiters Reinhard, 31 Jahre, zeigen.
Vom dornigen Weg der Persönlichkeitsveränderung kann er ein Lied singen. Der sympathische Berliner fällt auf, weil er mit
einem unheimlichen Dampf redet. Er redet so dominant und lange, bis das Gegenüber laut »Hör auf« rufen möchte. Im Coaching
hat er über sich erfahren, dass er Angst hat, etwas zu vergessen, wenn er redet. Es ist ihm wichtig, dass seine Worte ankommen.
Kein Wunder, dass er ohne Punkt und Komma |45| spricht. Auffällig ist auch seine Satzstruktur. Er verwendet siebendimensionale Schachtelsätze. Und wenn man als Zuhörer den
Eindruck hat, die Botschaft ist angekommen, dann legt er erst richtig los. Seine Mitarbeiter mögen und akzeptieren ihn mit
seiner burschikosen, fürsorglichen und präsenten Art. Aber dennoch ist es schwer, sich ihm gegenüber durchzusetzen oder eigene
Ideen zu entwickeln. Er selbst ist unheimlich schnell im Kopf und hat bereits oft ein fertiges Konzept parat. Wenn er sich
selbst in Rage geredet hat, kann er auch nicht mehr zuhören. Im Rahmen seiner persönlichen Entwicklung möchte er an dem Thema
arbeiten, sagte er mir in einem Führungstraining. Er habe gemerkt, wie er sich mit seiner Art selbst im Weg steht und Mitarbeiter
gängelt, statt deren Potenzial und Selbstverantwortung zu fördern. Im Gespräch stellte sich heraus, dass er an diesem Thema
schon ewig arbeitete. Er hatte auch etliche Selbstanalysen bereits hinter sich. Ihm war klar geworden, dass diese Art eine
frühe Überlebensstrategie im Umgang mit seinem Vater war. Als Kind forderte der Vater ständig immer mehr und immer mehr von
ihm. »Nie war es genug, nie war es ausreichend. Ich bin daran fast zerbrochen«, meinte er rückblickend. Dabei schwang eine
Emotion mit, die mir einen eiskalten Schauer den Rücken herunterlaufen ließ. Ihm war die Psychodynamik hinter seinem ausgeprägten
dominanten Redefluss sehr bewusst. Aber er kam, trotz intensiver Bemühungen, nicht wirklich weg davon. Es war wie ein Zwang,
auf bestimmte Weise handeln zu müssen. Im Kopf waren ihm die Zusammenhänge klar, doch das emotionale Muster blieb hartnäckig
und stabil. Er war geprägt von Selbstzweifeln und nie mit sich zufrieden. Der Einfluss der frühen väterlichen Botschaften
lag auf der Hand. In seinem ausgeprägten Drang, alles noch besser zu machen und die perfekte Lösung zu finden, hatte er für
sich die kleinen Schritte noch gar nicht realisiert, die er bereits besser geworden war.
Ob Reinhard je an seinem Traumziel ankommt, darf bezweifelt werden. Genauso, ob man das Ganze überhaupt noch
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