Die Weiterbildungsluege
Aufsichtsrats als die höchste Instanz in einem
börsennotierten Unternehmen. Angesichts dieser Erläuterungen begriff ich auch, dass dieses Seminarangebot meiner Chefin wie
ein Schlag ins Gesicht anmutete. Die Wirkung war so ähnlich, als hätte man Franziska van Almsick einen Schwimmkurs für Anfänger
angeboten.«
Hört man die Aussage des Personalleiters eines Unternehmens für Unterhaltungselektronik, dann kann man zu dem Schluss kommen,
dass es gut ist, wenn die Chefs überhaupt Überlegungen anstellen und Angebote machen. Er berichtete: »Es kommt häufig vor,
dass die Führungskräfte sich gar keine Gedanken darum machen, jemanden zu entwickeln.« Die Botschaft an den Mitarbeiter laute:
»Kümmern Sie sich selbst darum und wenn es einigermaßen passt, dann schicke ich Sie zu der Fortbildung.« Dabei kann es einem
allerdings so gehen wie einem befreundeten Gruppenleiter. Die Mitarbeiterin kam auf ihn zu und sagte: »Ich würde mich gerne
weiterbilden. Ich habe da an ein Seminar zum Thema Buchhaltung |105| gedacht.« Erfreut sondierte der Gruppenleiter die Angebote und offerierte der Mitarbeiterin ein hochwertiges 3-Tage-Seminar
in Hamburg. »Da bin ich ja drei Tage von zu Hause weg. Gibt es nicht etwas direkt vor der Haustür?« Und vorsichtig fügte sie
noch hinzu: »Am besten während der Arbeitszeiten?« Erstaunt fragte der Chef: »Wieso das denn? Sie haben doch keine Kinder.«
Mitarbeiterin: »Das nicht, aber wenn mein Mann abends nach Hause kommt, muss ich ihm was kochen.« Als der Gruppenleiter seinen
Unwillen kundtat, stellte sich heraus, dass der Mitarbeiterin die Fortbildung dann doch nicht so wichtig war. Nur gut, dass
die beiden darüber gesprochen hatten. Denn Chefs haben nur zu oft ein ganz anderes Verständnis davon, wie ihre Mitarbeiter
ticken.
Manche lassen sich bei der Auswahl von Seminaren von guten Kontakten zu einer Agentur beeinflussen, die sie ganz toll finden,
berichtete mir eine Personalentwicklerin aus der Automobilbranche. »Da wird von oben entschieden, was passt«, konstatiert
sie. Sie musste sehenden Auges erleben, wie einer jungen Führungsmannschaft ein Training »mit allem Schicki-Micki und Outdoor
und sonst noch welchen Geschichten« verabreicht wurde. »Statt den jungen Leuten zu helfen, erst mal ihre Führungsrolle zu
begreifen, wurden kreative Bilder gemalt und Schwertkämpfe auf der grünen Wiese ausgefochten.« Das Ende vom Lied war, dass
die Nachwuchsführungskräfte völlig verunsichert waren und obendrein noch Häme aus dem Umfeld ernteten. Die Mitarbeiter hatten
nämlich nur eins verstanden, so die 32-Jährige: »Da werden zu irgendwelchen Führungsleitsätzen nette bunte Bilder gemalt,
aber mein Chef ist immer noch der gleiche Idiot, der mir nicht richtig zuhört oder nicht da ist, wenn ich ihn brauche.«
Ja, ja – die Chefs. Wie wichtig Weiterbildung wirklich ist, sieht man immer, wenn sie den operativen Druck direkt an die Mitarbeiter
weitergeben. In einem Versandhandelsunternehmen gab es ein Intensiv-Englischtraining für fünf Kollegen aus verschiedenen Bereichen.
Die Personalabteilung hatte einen Englischlehrer eingekauft, der zweimal die Woche für anderthalb Stunden in die Firma |106| kam. Bald fiel auf, dass die zwei Mitarbeiter aus dem Marketing dem Unterricht häufig fernblieben. Ohne Absage versteht sich.
Und ihr Vorgesetzter tolerierte dieses Verhalten. Als ihn die zuständige Personalreferentin darauf ansprach, meinte er hektisch:
»Das müssen Sie verstehen, die Kampagne musste dringend …« Sie verstand aber nur eines, wenn sie die andere Seite hörte. Nämlich
die Mitarbeiter. In ihren Augen galt der Marketingleiter als Prototyp für Chaosmanagement. Aktionen erfolgten auf die letzte
Minute und waren dann hoch dringlich. Seine Mitarbeiter mussten in Hauruck-Aktivitäten den Karren aus dem Dreck ziehen. Wie
unschwer zu erkennen ist, lernt man auf diese Weise kein Englisch, sondern verschleudert Geld.
In anderen Unternehmen ist es vergleichbar. Das Daily Business ist einfach wichtiger als profane Weiterbildungen. Morgens
zum Seminarbeginn steht der Trainer vor gelichteten Reihen. Einer fehlt. Bisweilen auch zwei bis drei Teilnehmer. Ob und wann
sie kommen, weiß keiner. Allerdings gesellen sich schon mal Erfahrungen hinzu, wie sie ein lieber Trainerkollege von mir bei
einem Antriebsmaschinenhersteller machen musste. Er hatte 14 Teilnehmer auf der Liste. Dann die Überraschung: Es waren
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