Die Weiterbildungsluege
Flurfunk.
Für sie, die sich so ungerecht behandelt fühlte, war es die einzige Chance, etwas von ihrem Druck und Frust loszuwerden. Und
so erzählte sie und erzählte sie und erzählte sie ihr Erlebnis immer wieder. Auch ganz typisch. Denn wo Konflikte nicht offen
auf den Tisch gebracht werden, machen sie sich auf andere Weise Luft. Dabei fängt alles so harmlos an. Am Anfang ist es ein
Bauchgrummeln, dass heruntergeschluckt wird. Man bagatellisiert |128| Kritikpunkte. Doch ab einem gewissen Grad an Verärgerung kommt es zu einem Dauerdilemma. Einerseits hat man nicht den Mut,
den Konflikt offen auf den Tisch zu bringen, andererseits ist man aber auch nicht bereit, seine Verärgerung abzuhaken und
die Sache auf sich beruhen zu lassen. So geht es auch dem Chef, der sich über das Verhalten seines Mitarbeiters aufregt. Als
Folge kommt es zu emotionalen Wänden zwischen den Beteiligten, zu zynischen Zwischenbemerkungen oder anderen verdeckten Bestrafungen.
Man lässt jemanden absichtlich warten oder schreibt lieber Mails, als telefonisch oder persönlich zu kommunizieren. Und irgendwann
ist die Wand so groß, dass man überhaupt keinen Ansatzpunkt mehr sieht, das Problem zu thematisieren. Aus dieser Sicht finde
ich es verständlich, wenn ein Vorgesetzter zum Rettungsanker Fortbildung greift. Nur leider zieht dieser Anker noch tiefer
in den Sumpf herunter.
Aber nicht nur Seminare werden aus Gründen der Konfliktvermeidung zweckentfremdet. Eine ganz andere Praxis erfuhr ich von
einer Personalentwicklerin aus der Finanzdienstleistungsbranche. Sie hat es oft erlebt, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter
ins Development-Center schicken, damit sie dort mal die Wahrheit über sich erfahren. Dem Mitarbeiter wird gesagt: »Gehen Sie
mal zum DC, das ist gut für Sie. Das ist eine Entwicklungsmaßnahme.« Im Kopf haben sie aber den Gedanken: »Dann bekommen Sie
endlich mal das nötige Feedback.« Das Stichwort Development-Center führt uns nun geradewegs zu Nachwuchsförderungsprogrammen.
Auch sie werden missbraucht.
War for Talents: Im Krieg sind alle Mittel erlaubt
Ein martialischer Begriff macht seit einigen Jahren die Runde in der Unternehmenslandschaft: War for Talents. Geprägt wurde
der Begriff 1997 von den Unternehmensberatern Ed Michaels, Helen Handfield-Jones und Beth Axelrod. 46 Gemeint ist damit der Kampf um die besten Hochschulabsolventen. Diese sogenannten High |129| Potenzials, kurz HiPos, werden im Informationszeitalter als die wichtigste und gleichzeitig knappste Ressource des Unternehmenserfolgs
gesehen. Deshalb richten sich alle Bemühungen darauf, diese HiPos zu bekommen beziehungsweise bereits gewonnene Leistungsträger
zu halten. In diesem Zusammenhang spielt Weiterbildung als Lockmittel eine wichtige Rolle. Im Jahr 2007 überraschte mich im
Weiterbildungsmagazin
managerSeminare
ein Artikel mit der Überschrift »Firmen wollen High Potentials mit Weiterbildung locken«. 47 Darin war zu lesen, dass laut einem internationalen Beratungsunternehmen 60 Prozent von 430 befragten Firmen mehr Geld für
die Trainings- und Entwicklungsmaßnahmen ihrer Mitarbeiter ausgeben wollen, um HiPos zu locken und zu binden. Was nicht im
Artikel stand, ist die Kehrseite der Medaille. Leistungsträgern werden Karrierechancen suggeriert, obwohl es keine gibt. Doch
im Krieg sind alle Mittel erlaubt. Kurzum. Es wird kräftig Geld in kostenintensive Fortbildungsprogramme gepumpt, die die
Betreffenden in dem guten Glauben lassen, dass sie wichtig sind und gebraucht werden. Auch das ist eine Konfliktvermeidungsstrategie,
die die Unternehmen in mehrerer Hinsicht teuer bezahlen. Einmal sind es die Maßnahmen selbst, zum anderen ist es aber auch
die Tatsache, dass die Leistungsträger irgendwann merken, dass sie nichts als heiße Luft erfahren haben, und dem Unternehmen
enttäuscht den Rücken kehren. Diese Erfahrungen hat der ehemalige Personalentwicklungsleiter eines großen Reiseveranstalters
hinter sich. »Es war vom Vorstand so gewollt, parallel mehrere Führungs- und Nachwuchsführungsprogramme auf unterschiedlichsten
Ebenen zu initiieren. Für Berufseinsteiger, für Leute mit etwas mehr Berufserfahrung, für Leute mit erster Führungserfahrung,
Abteilungsleiter und Hauptabteilungsleiter. Allen wurde suggeriert, dass es mit der Karriere weiter nach oben geht«, verrät
der Insider. »Es wurden Aufstiegschancen vermittelt, die so nie einhaltbar waren. Obwohl man nicht
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