Die Weiterbildungsluege
die Bindung an sie und das Unternehmen groß genug ist, wenn sie ihren
Mitarbeitern Gutes tun. Die Rechnung geht aber nicht auf. Denn die Führungskräfte vermeiden den echten Dialog mit den Potenzialträgern.
Die ehrliche Botschaft müsste nämlich lauten: »Ich möchte gern mit Ihnen zusammenarbeiten. Ich schätze Ihre Leistungen. Aber
leider kann ich Ihnen keine Entwicklungschancen anbieten.« Jemand hat mal gesagt, es könne nicht nur Häuptlinge geben, sondern
es braucht auch Indianer. Aber diese Klarheit wird gescheut. Und das rächt sich, wie die Personalentwicklerin aus einer Bank
weiß. »Fast 9 000 Euro pro Person kostete unser Nachwuchs-Führungskräfteprogramm«, erzählt die Referentin. »Wir haben mittels
eines Assessment-Centers eine Hand voll Nachwuchsführungskräfte im Unternehmen entwickelt und dann eine wirklich strukturierte
und – wie ich finde – geniale Maßnahme aufgesetzt«, schwärmte sie. Nach einem Jahr kam jedoch die Stunde der Wahrheit. Mit
den Hoffnungsträgern war nämlich nicht klar besprochen worden, dass sie im Bedarfsfall auch an andere Standorte gehen müssten,
um Karriere zu machen. »Und das war dann auch der Grund, weshalb eine ›supertolle‹ Nachwuchsführungskraft aus dem Entwicklungsprogramm
das Unternehmen verlassen hat.« Der Hintergrund war, dass man diesem Kandidaten in einer Berliner Filiale einen passenden
Job angeboten hatte. Ein absoluter Aufstieg, wie die Personalentwicklerin findet. Doch die Chance schlug er aus. Obwohl ihm
die angebotene Position gefiel, wollte er nicht von München nach Berlin umziehen. Ein halbes Jahr später hatte der Mann die
Bank verlassen und einen Job im Umfeld von München gefunden, wo er seinen Aufstieg machte.
Seminartourismus: Mitarbeiter bei Laune halten
Nachwuchsförderungsprogramme ohne Aufstiegschancen sind nur eine weitere Spielart des Missbrauchs, der mit Weiterbildung betrieben
wird. Genauso werden einzelne Seminare eingesetzt, |133| um Mitarbeitern mal etwas Gutes zu tun. Nicht Personalentwicklung ist der Aufhänger, sondern der fordernde Mitarbeiter, der
bei Laune gehalten werden muss. So sieht es auch Dr. Maximillian Kern. In einem Artikel in
management&training
vertritt er die Ansicht, dass Seminare nichts mit zielgerichteter Qualifizierung zu tun haben, wenn sie nur dazu dienen, Mitarbeitern
eine Belohnung beziehungsweise ein Dankeschön zu geben oder weil sie einfach mal an der Reihe waren. 48 Und wieder wird deutlich, dass Weiterbildung dazu dient, Konflikte zu vermeiden. Das kostet nicht nur Geld, sondern hat auch
den Haken, dass der Mitarbeiter die Seminarinhalte nicht anwenden kann und dann enttäuscht ist. So hat es der Personal- und
Organisationsentwickler eines IT-Unternehmens erlebt. Als wir uns zu dem Thema austauschten, erzählte er mir: »Meistens sind
es Soft-Skill-Fortbildungen, die als Incentive verwendet werden. Da wird jemand auf einen tollen Präsentationslehrgang geschickt,
obwohl er das Gelernte in seinem Berufskontext überhaupt nicht anwenden kann. Wenn er etwas präsentieren muss, dann betrifft
es das Tagesgeschäft. Dazu ist aber wenig Vorbereitung nötig.« Die Krux sei: Der Mitarbeiter könne zwar hervorragende Präsentationen
machen, die aber haben keinen Abnehmer.
Das Training als Goodie kennt auch ein Personalentwickler aus dem Medizintechnikbereich. »Trainings sind ein Benefit, das
man dem Mitarbeiter geben möchte, um ihn einfach mit seiner Motivation bei der Stange zu halten. Streng genommen ist die Maßnahme
irrelevant.« Am beliebtesten seien Seminare zu Themen, die man immer mal gebrauchen könne. Kurzum: »Mach’ mal eine PowerPoint-Schulung
oder Ähnliches.« Besprochen werden diese Aktivitäten im jährlichen Mitarbeitergespräch. Und hier regiert das Prinzip: »Wer
am lautesten und eindringlichsten nach Weiterbildung kräht, findet Gehör.« Ein beliebtes Argument ist: »Ich möchte auch mal
etwas machen. Die anderen durften letztes Jahr Kurse besuchen. Für mich ist nichts abgefallen. Jetzt bin ich aber auch mal
dran.« Nach dem Motto »Wünsch-dir-was« wird dann |134| der Mitarbeiter gefragt, in welcher Hinsicht er sich fortbilden möchte. In der Regel bekommt er auch, was er will. Dahinter
steht die Einstellung, dass der Kollege schon weiß, was er braucht. Ist er unschlüssig, findet sich schon etwas Geeignetes
– vielleicht ein Präsentationsseminar oder eine PowerPoint-Schulung. Aber den Punkt hatten wir ja
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