Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
und blickte sich in der Kammer um. Seltsam, dachte sie, ich kann mich überhaupt nicht erinnern, wie ich in diesem Raum gelebt habe. Wie haben wir da alle Platz gefunden? Mit wem habe ich zuletzt in einem Bett geschlafen? Wer hat uns morgens geweckt? Wo ist die geheime Treppe, über die Gerswind immer schnell zu mir kommen konnte? In Altdorf hatte ihr die Erinnerung an ihr Leben am Kaiserhof deutlicher vor Augen gestanden als in diesem Raum, wo sie es geführt hatte.
    »Lass uns gehen«, bat sie und wandte sich zur Tür. Sie hatte bereits die Hand auf den Knauf gelegt, als ein kräftiger Arm ihre Mitte umschlang.
    »Nicht einmal mich?«, flüsterte Bernhard. »Mich würdest du auch nicht heiraten wollen?« Der warme Hauch seines Atems rauschte in ihrem Ohr, schien bis tief in ihr Herz hinein zu wehen und dort einen Sturm zu entfachen, der durch ihren gesamten Körper zog. So etwas war ihr noch nie geschehen. Ihr Körper folgte dem Druck von Bernhards Arm. Fast unwillkürlich ließ sie den Türknauf los und hörte sich genauso leise erwidern: »Dich vielleicht schon.«
    Habe ich das wirklich gesagt? Sie kam weder dazu, ihre Worte zurückzunehmen, noch über deren Folgen nachzudenken. Bernhard hatte ihren Mund mit einem Kuss verschlossen, der kein Reden, Denken, Hören oder Sehen mehr erlaubte.
    In der Königshalle wandte sich Irmingard beunruhigt an den ältesten Kaisersohn und bat ihn, dafür zu sorgen, dass Judith nicht allzu streng bestraft würde.
    »Natürlich war ihr Verhalten unverzeihlich, aber sie trägt doch keine Schuld daran, dass ihr das Haar abgeschnitten wurde! Da ist bei ihr eben alles aus dem Lot gegangen.«
    Lothar musterte die junge Frau, die als seine Stiefmutter ausersehen war, und überlegte, wie blass und eckig sie doch neben der anziehenden Welfentochter wirkte.
    Im Gegensatz zu seinem Vater konnte er sich an Judith noch sehr gut erinnern, vor allem an das Goldhaar, das ihn schon als kleinen Knaben ständig dazu verlockt hatte, sie an Zöpfen zu ziehen, die ihr fast bis zu den Knien reichten. Als sie beide älter geworden waren und Judith das Haar offen trug, war es ihm einmal gelungen, ihr einen flüchtigen Kuss zu stehlen. Auch jetzt, Jahre später, schien er immer noch die Seide ihres Haares unter seinen Händen zu fühlen, und das hatte ihn viel mehr erregt als jener Kuss auf die streng versiegelten rosigen Lippen.
    Er nickte Irmingard begütigend zu. »Ich werde sehen, was sich machen lässt«, versicherte er und wandte sich zum Gehen.
    Harald Klak fühlte sich überflüssig. Auch wenn er als Bittsteller zu Kaiser Ludwig gekommen war, fand er es ungebührlich, derart vernachlässigt zu werden. Als er beobachtete, wie sich Lothar auf den Ausgang zu bewegte, durch den immer noch einige Menschen in den Saal stürzten, schritt er ihm hinterher. Er folgte ihm durch den unteren Holzgang und überlegte, wie er den ältesten Königssohn um Unterstützung angehen könnte. In dieser Lage war diplomatisches Vorgehen gefragt. Der Auftritt des kurzhaarigen Mädchens hatte das Chaos ausgelöst. Um die Aufmerksamkeit Lothars zu gewinnen, würde er also darauf eingehen müssen. Zum Beispiel anbieten, die in Aachen offensichtlich unerwünschte Frau nach Dänemark mitzunehmen.
    Auch Lothar beschäftigte sich noch immer mit Judith. Im Gegensatz zu Bernhard wusste er um die Vermögensverhältnisse der Welfenfamilie bestens Bescheid. Vor der Brautschau hatte er die Hintergründe sämtlicher Bewerberinnen genau ausgeleuchtet. Mein Vater sollte sie heiraten, dachte er. Auch wenn sie aussieht, als hätten sich die Ratten an ihrem Kopf zu schaffen gemacht. Ihr Vater entstammt einer noblen Familie, die Reichtümer angesammelt hat und Ländereien und Einfluss in Gebieten besitzt, die meinem Vater, dem Kaiser, nicht sonderlich freundlich gesinnt sind und die er kaum kennt. Wie kurzsichtig von den Beratern meines Vaters, ihm Irmingard, diese Grafentochter aus dem ohnehin vertrauten Aquitanien, ins Bett legen zu wollen! Mein Vater sollte erkennen, dass ihm und dem Reich ein Aufstieg der Welfenfamilie förderlicher wäre. Aber was hat er schon je erkannt! Wohl höchstens, dass er ohne meine Mutter nur noch für das Mönchtum taugt. Und auch das hat er sich leider ausreden lassen, der schwache Zauderling! Geringschätzig kräuselte Lothar die schönen vollen Lippen. Schon als Kind hatte er den Vater verachtet, sich über dessen weinerliche Frömmigkeit belustigt und sich geschämt, wenn ihn der große Karl vor dem

Weitere Kostenlose Bücher