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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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um ihn gegen eine Wand zu schleudern.
    »He!«, brüllte eine Stimme aus den Schatten, ehe der Mann den Krug werfen konnte. »Kenndrick will, dass die Tür zubleibt. Ich sitz doch nicht umsonst die ganze Nacht hier. Geh gefälligst rein! Hier draußen hat keiner was zu suchen!«
    Der Pirat in der Tür fluchte erneut, beschimpfte den unsichtbaren Wächter im Hof - und schmiss den leeren Krug wütend vor die gegenüberliegende Mauer.
    Jolly hob den Fuß. Der halbe Dachziegel rutschte ab, glitt scharrend über die Kante hinweg und fiel. Das Geräusch, das entstand, als er am Boden zerbrach, ertönte ein paar Herzschläge später als das Bersten des Tonkrugs. Sie biss die Zähne zusammen, kniff die Augen zu. Hielt die Luft an.
    Unten im Hof schlug die Tür hinter dem betrunkenen Piraten zu.
    Der zweite Mann, der die ganze Zeit über in der Dunkelheit gestanden hatte, war wieder still - ebenso gut hätte er fort sein können. Er musste den Aufschlag der Ziegel gehört haben, hatte den Laut aber offenbar mit dem zerbrochenen Krug in Verbindung gebracht - genau wie Jolly es geplant hatte. Ihr Herzschlag raste vor Erleichterung.
    Aber noch lag das halbe Dach vor ihr. Immerhin wusste sie nun mit Bestimmtheit, dass im Hof tatsächlich jemand war. Im Lichtschein, der durch die offene Tür gefallen war, hatte sie ihn nicht sehen können; er musste sich demnach auf ihrer Seite des Hofes, direkt unter ihr befinden. Wenigstens hielt also auch sie sich außerhalb seines Blickfeldes auf.
    Sie fröstelte. Sie hatte Glück gehabt, dass der Ziegel ihm nicht auf den Kopf gefallen war.
    Weiter!
    Noch vorsichtiger als zuvor suchten ihre Hände und Füße Halt auf der brüchigen Schräge. Irgendwo in der Ferne, im Gassengewirr östlich des Steinviertels, ertönte das Klirren von Säbelklingen, wilde Rufe, dann ein Schrei. Jemand lachte schallend, andere fielen mit ein. Willkommen in Port Nassau.
    Jolly erreichte das andere Ende der Schräge. Hier traf das Dach des Anbaus auf die Wand eines höher gelegenen Stockwerks. Es war das Obergeschoss des Haupthauses. Irgendwo in diesem Teil, vermutete sie, lagen Kenndricks Zimmer.
    Ein letzter Blick in den schwarzen Abgrund, dann drückte sie fest gegen ein Fenster. Es war von innen verriegelt. Sie zog ihren Dolch, schob ihn in den Spalt und hebelte den Riegel mühelos auf. Lautlos schwang die Scheibe nach innen.
    Jolly glitt hinein. Sie befand sich in einer kleinen Schlafkammer. Das Bett war schmutzig und zerwühlt, überall lagen Kleidungsstücke auf dem Boden. Eine kleine, eisenbeschlagene Kiste stand neben der fleckigen Waschschüssel; die Truhe war mit einer Kette an einem der Dachbalken gesichert. Gleich zwei Vorhängeschlösser sollten verhindern, dass irgendjemand sich an der Beute des Piraten zu schaffen machte. Jolly vermutete, dass es sich um das Zimmer eines der engeren Vertrauten Kenndricks handelte.
    Die einzige Tür besaß kein Schloss und ließ sich mühelos öffnen. Durch einen Spalt schaute Jolly auf einen engen Gang. Kein Mensch war zu sehen.
    Sie huschte hinaus, zog die Tür hinter sich zu und horchte. Unten im Treppenhaus waren Schritte zu hören, die Stimmen eines Mannes und einer Frau. Die beiden kamen näher.
    Jolly stieß scharf die Luft aus, lief zum Ende des Ganges und probierte eine weitere Tür aus. Sie gab den Blick auf ein größeres Zimmer frei, das von einem Himmelbett mit Samtbaldachin beherrscht wurde, verziert mit einem Wappen in Gold und Silber. Es stammte wahrscheinlich vom Schiff eines spanischen oder englischen Edelmannes. Zahlreiche Truhen und Kisten standen überall im Raum herum, der Boden war mit mehreren Lagen orientalischer Teppiche bedeckt. Es gab ein halbes Dutzend Kerzenleuchter, außerdem einige Schränke, manche so prall mit teuren Stoffen und Kleidungsstücken gefüllt, dass sich ihre Türen nicht mehr schließen ließen.
    Jolly fragte sich, was dem Piratenkaiser an all diesem Krempel lag. Von den Händlern, draußen in der Zeltstadt am Rande Port Nassaus, hätte er dafür einen hübschen Haufen Gold kassieren können. Aber vermutlich besaß er davon ohnehin mehr als genug. Zudem war Kenndrick bekannt dafür, ein modischer Geck zu sein, der Wert legte auf edle Kleidung, Sauberkeit und ansprechendes Äußeres - ganz im Gegensatz zu seiner verkommenen Gefolgschaft. Beharrlich hielten sich die Gerüchte, dass er sein Haupthaar schwarz gefärbt hatte, obwohl es von Natur aus feuerrot gewesen war.
    Ihr blieb keine Zeit, sich näher umzuschauen, denn die

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