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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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den Welten, sagt der Einäugige. Aber für mich sieht es eher nach dem Ende der Welt aus.«
    Er hatte Recht. Hätte Jolly es nicht besser gewusst, dann wäre sie überzeugt gewesen, dass sie das Ende des Ozeans erreicht hatten, jenen Ort, von dem die Menschen früher einmal geglaubt hatten, das Wasser ergieße sich über eine Klippe vom Rand der Erdscheibe. Bannon, ihr Ziehvater, hatte Jolly erklärt, dass die Welt eine Kugel war und dass es so etwas wie ein Ende nicht gab. Der Anblick des Mahlstroms aber konnte einen vom Gegenteil überzeugen.
    Jolly fühlte sich schrecklich klein, viel zu winzig, um es mit solch einer Naturgewalt aufzunehmen. Meile um Meile brüllender See erstreckte sich dort unten, und das war gewiss noch nichts gegen das, was sie im Zentrum all dieses Chaos erwartete. Im Schorfenschrund, im Herzen des Mahlstroms.
    D’Artois gab dem Soldaten, der den zweiten Rochen flog, einen Wink, und sogleich wendeten beide Tiere in einem weiten Bogen.
    »Wir fliegen jetzt zurück zu einer Stelle, an der das Meer nicht ganz so aufgewühlt ist«, erklärte er über die Schulter. »Es ist wichtig, dass ihr beiden senkrecht abtauchen könnt und dabei nicht in den Sog geratet.«
    »Wir müssen doch sowieso näher heran«, entgegnete Jolly. »Früher oder später werden wir den Sog ohnehin zu spüren bekommen.«
    »Nicht unbedingt. Ein Mahlstrom ist geformt wie ein Trichter. Hier oben mag er fünfzig Meilen breit sein, aber zum Meeresboden hin verjüngt er sich. Ihr werdet unbeschadet über den Grund wandern können, unter seinen Ausläufern hindurch.« Er machte eine kurze Pause. »Der Einäugige sagt, im Mittelpunkt ist der Mahlstrom nicht breiter als ein Turm, der aus einer gewaltigen Muschel am Grund des Schorfenschrunds entspringt.«
    Jolly blickte zum Geisterhändler hinüber, dem Einäugigen, wie D’Artois ihn nannte. Der Händler redete eindringlich auf Munk ein, aber über die Entfernung hinweg konnte sie nicht hören, was er sagte. Vermutlich gab er ähnliche Instruktionen wie der Hauptmann.
    »Wie viele Meilen werden wir gehen müssen?«, fragte Jolly.
    »Wenn wir euch am Rande des Mahlstroms absetzen . nun, etwa zwanzig oder dreißig. Genau lässt sich das nicht sagen, weil er mit jedem Tag größer geworden ist und wir es aufgegeben haben, ihn zu vermessen.«
    Dreißig Meilen, dachte Jolly erschüttert. Der Schorfenschrund selbst lag angeblich in einer Tiefe von dreißigtausend Fuß, hatte Urvater behauptet. Und all das sollten sie ohne Hilfsmittel zurücklegen? Nicht einmal einen Kompass konnten sie mitnehmen, der Wasserdruck würde das Glas sofort zerstören.
    »Vergesst nicht, dass ihr euch nicht weit vom Meeresgrund lösen dürft«, wiederholte D’Artois eine Anweisung, die ihnen bereits der Geisterhändler und Urvater eingehämmert hatten. »Der Mahlstrom wird nach Gegnern suchen, die sich ihm nähern. Der Einäugige sagt, solange ihr euch dicht am Boden haltet, wird er euch nicht entdecken. Es wird am besten sein, wenn ihr tatsächlich lauft und nur im Notfall schwimmt.« Er schüttelte den Kopf, so als wäre er es leid, Regeln nachzuplappern, die er selbst nicht verstand. »Ihr solltet Acht geben auf starke Strömungen, auf einen veränderten Druck und so weiter. Das alles könnten Anzeichen dafür sein, dass der Mahlstrom gerade nach euch greift.«
    Jolly nickte benommen. Sie hatte das alles in den letzten Tagen schon hundertmal gehört. Es aber nun von jemandem wie D’Artois erklärt zu bekommen, der Magie nicht als gegeben hinnahm, machte den bevorstehenden Schrecken noch greifbarer und bedrohlicher.
    Soledad hatte während der vergangenen Minuten kaum etwas gesagt, und auch jetzt blieb sie noch immer still. Jolly wusste, dass die Prinzessin sich schuldig fühlte bei dem Gedanken, welche Last den Quappen aufgebürdet wurde. Dass sie selbst nichts tun konnte und keine bessere Lösung wusste, machte sie rasend vor Hilflosigkeit.
    Die Rochen schwebten jetzt wieder in südliche Richtung, dorthin, wo die See weniger rau war. Während des Hinflugs hatten sie Klabauterheere in der Tiefe gesehen, wimmelnde dunkle Schwärme wie Ameisen, die unter der Oberfläche in Richtung Aelenium zogen. Klabauter so weit das Auge reichte. Einmal hatten sie eine Zone durchflogen, in der es aus heiterem Himmel Fischkadaver regnete, und alle hatten gewusst, dass sich irgendwo unter ihnen eine Kreatur des Mahlstroms befand, eine Monstrosität wie der Acherus, der Munks Eltern getötet hatte. Womöglich hatten sie

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