Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber
hier einmal eng verwinkelt erhoben hatte. Von ihrem Standort aus konnte Soledad eine Seesternzacke erkennen, und auch sie war vollkommen leer. Wie blank geputzt.
Tyrones Armee war spurlos verschwunden. Soledad hatte eine Gänsehaut, und Tränen brannten in ihren Augen. Sie weinte um die Schönheit Aeleniums und über den Tod so vieler Menschen.
»Prinzessin?« Eine Frage, dann ein jubelnder Ausruf: »Soledad, du bist es!«
Sie wirbelte herum, sah vor sich niemanden, bemerkte aber sogleich die Silhouette, die über ihr wie ein dunkler Riss im Himmel klaffte. Dort schwebte die geflügelte Schlange mit zerzaustem Schwingengefieder; abgebrochene Pfeilschäfte ragten wie Stacheln aus ihrem Schuppenleib.
»Hast du Buenaventure gesehen?«, brach es aus Soledad hervor. »Gott, du siehst schrecklich aus. Wir müssen irgendwie diese Pfeile aus dir -«
»Lass nur«, unterbrach die Schlange sie. »Das sind Kratzer. Und, nein, ich habe ihn nicht gesehen.« Sie senkte die Stimme. »Er war oben auf dem Wall, als… als es passiert ist, nicht wahr?«
»Ich muss ihn finden!« Soledad versuchte, ihr Entsetzen über die zerstörten Stadtviertel abzuschütteln, doch sie konnte all die Toten nicht vergessen. Noch einmal wandte sie sich den niedergemähten Häuserruinen zu. »Das Schlimmste ist, dass sie einfach alle fort sind. So, als wären sie irgendwo anders noch am Leben.«
Die Schlange blinzelte sie aus ihren dunklen Augen an, dann stieg sie mit einem heftigen Flügelschlag ein Stück höher. »Ich helfe dir bei der Suche«, sagte sie und bewegte sich gleich darauf über den Dächern oberhalb des Walls nach Osten, während Soledad Richtung Westen lief.
Bald stieß sie auf die ersten Verletzten, die von den Ausläufern der Flutwelle durch Fenster und Türen, in Hinterhöfe und gegen Mauern geschleudert worden waren. Manche hatten sich in die Winkel der Gassen gerettet, herangespült wie Treibgut. Gut möglich, dachte sie, dass es Buenaventure ebenso ergangen war.
Doch so verbissen sie auch suchte, sie fand ihn nicht. Manch einen fragte sie nach ihm, aber sie bekam nur selten Antwort, denn viele waren zu schockiert, um den Sinn ihrer Worte zu begreifen. Soledad half einigen Verletzten und blieb ungeduldig an ihrer Seite, bis andere Retter eintrafen. Dann erst lief sie weiter.
Alles vergeblich.
Sie fand keine Spur von Buenaventure. Entmutigt und unglücklich kehrte sie zurück zum großen Platz, wo sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Dort traf sie die Schlange wieder, die von ihrer Suche im Osten zurückkehrte.
»Nichts«, rief ihr das Geschöpf zwischen zwei Schwingenschlägen entgegen. »Und bei dir?«
Soledad schüttelte stumm den Kopf und überlegte, wie sie Walker die Hiobsbotschaft überbringen sollte. Mit welchen Worten sollte sie ihm klarmachen, dass sein bester Freund in die See gespült worden und ertrunken war? Dass er Buenaventure niemals wieder sehen würde?
Sie murmelte der Schlange einen heiseren Dank zu, dann ging sie mit schweren Schritten über den Platz in Richtung des Hauses, in dem sie Walker zurückgelassen hatte.
Der Platz war jetzt voller Menschen. Die meisten hatten ihre Waffen beiseite gelegt und taten ihr Bestes, anderen zu helfen. Da waren auch ein paar Kannibalen, die von zerzausten Gardisten abgeführt wurden. Niemand schien mehr in der Verfassung zu sein zu kämpfen, so als wäre das, wofür diese Schlacht eigentlich geschlagen worden war, mit einem Mal in ihren Köpfen zu etwas Undeutlichem, Verschwommenem geworden. Soledad selbst erging es nicht anders. All das schien weit, weit zurückzuliegen, obgleich doch seit den letzten Gefechten kaum eine oder zwei Stunden vergangen waren.
Die Szenerie war unwirklich geworden. Diese Stadt, der Wind, die Menschen - alles war anders als vor der Katastrophe. Soledad brachte es nicht über sich, zum blauen Himmel emporzuschauen; ihr war, als wollte er sie mit seiner klaren, reinen Schönheit verhöhnen.
Sie erreichte die Tür des Hauses und überlegte, ob sie sie tatsächlich offen gelassen hatte. Nein, sie war sicher, dass sie den Flügel beim Hinausgehen zugezogen hatte. War Walker ihr doch noch gefolgt? Sie wurde schneller, während sie die Treppen hinaufsprang: War Buenaventure am Leben und hatte als Erstes den Weg zu seinem verletzten Freund eingeschlagen?
Aber ihr kam noch ein anderer Gedanke. Mehr ein Gefühl, eine vage Ahnung von Gefahr. Ihre Hand lag auf dem Griff ihres Säbels, als sie sich der Tür des Schlafzimmers näherte.
Ihr
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