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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sogar den Herrn der Klabauter selbst passiert, ein Wesen, das noch keiner von ihnen gesehen hatte, dem Jolly aber bereits zweimal zum Greifen nahe gewesen war. Einmal auf offener See während ihrer Fahrt nach Tortuga, ein zweites Mal mit Griffin auf der Insel des Gestaltwandlers. Beide Male hatte es in seiner Nähe tote Fische geregnet.
    Die Wogen unter ihnen glätteten sich allmählich, und schließlich gab D’Artois dem zweiten Rochen einen neuerlichen Wink. Die Tiere verlangsamten ihren Flug und begannen zu kreisen. Jolly schaute über ihre Schulter. Der Dunststreif am Horizont war noch immer zu sehen, doch bis hierher reichten die Arme des Mahlstroms nicht. Auch die Klabauterheere hatten diesen Ort längst passiert, sodass für sie immerhin eine Chance bestand, ungehindert bis zum Meeresgrund vorzustoßen.
    »D’Artois!«, rief plötzlich Soledad. »Da vorne!«
    »Ich sehe es«, knurrte der Hauptmann.
    Jolly blickte nach Süden und entdeckte, was die beiden meinten. Ein dunkler Punkt näherte sich ihnen auf dem Wasser, so rasch, als fliege er über die Oberfläche.
    »Ist das ein Seepferd?«, fragte sie.
    »Sein Reiter müsste es fast zu Schanden reiten, damit es so schnell wird«, erwiderte D’Artois stirnrunzelnd.
    »Ein Diener des Mahlstroms?« Soledad sprach aus, was alle dachten.
    D’Artois stieß einen Pfiff in Richtung des zweiten Rochens aus, doch seine Reiter hatten den Punkt in der Ferne bereits entdeckt. Der Hauptmann zog aus einer Halterung an seinem Sattel eine kleine Armbrust und spannte sie geübt mit einer Hand. Eine altertümliche Waffe wie diese war auf einem Rochen leichter zu handhaben als eine Pistole, die erst gestopft und geladen werden musste.
    Bald war der Neuankömmling so nah herangekommen, dass sein Umriss keinen Zweifel mehr zuließ. Es war ein Seepferd. Aber sein Reiter trug zusammengewürfelte Kleidung nach Art der Piraten, keine Lederuniform wie die Gardisten Aeleniums.
    »Wer, zum Teufel, ist das?«, fragte Soledad. Ihrem Tonfall nach zu urteilen, hätte sie wohl selbst gern eine Waffe in der Hand gehalten.
    »Ich kenne das Tier«, sagte D’Artois einen Augenblick später. »Das ist Matador.«
    Jolly durchlief ein Beben. Ihr Atem stockte, ihr Herzschlag stolperte. »Griffins Seepferd?«
    Der Hauptmann nickte.
    Und dann hob der Reiter einen Arm und winkte ihnen aufgeregt zu, und obwohl sie seine Stimme über das Rauschen der Rochenschwingen und das ferne Brausen des Mahlstroms hinweg nicht hören konnten und obgleich sein Gesicht noch immer so klein war wie ein Stecknadelkopf, wusste Jolly, wer er war.
    »Das ist Griffin!« Ihre Stimme überschlug sich, sie klang ganz schrill vor Aufregung. »Gehen Sie runter, D’Artois! Bitte - gehen Sie tiefer!«
    Der Rochen verlor kreisend an Höhe. Als er noch vier oder fünf Mannslängen über dem Wasser schwebte, erkannte Jolly Griffins blonde Zöpfe, dann sein Lachen. Er winkte jetzt so überschwänglich, dass sie einen Moment lang glaubte, es könnte sich um eine Halluzination handeln, etwas, das ihre Wünsche, ihre Sehnsucht ihr vorgaukelten.
    »Griffin!«, rief sie und winkte zurück. Leiser flüsterte sie gegen den Wind: »Oh, Griffin, Gott sei Dank…«
    Sie achtete jetzt nicht mehr auf die anderen, nicht auf Munk, der mit versteinerter Miene herüberblickte, nicht auf die Sorgenfalte auf der Stirn des Geisterhändlers, nicht auf D’Artois’ Warnung oder Soledads gutmütiges Raunen. In Windeseile öffnete sie ihre Haltegurte, richtete sich im Sattel auf, lief zwei Schritte über die weiche Schwinge des Rochens - und glitt mit einem Kopfsprung in die Tiefe.
    Die aufgeregten Rufe ihrer Begleiter verklangen, als sie mit Händen und Gesicht durch die Oberfläche stieß, in einem Wirbel aus tanzenden Luftblasen und Schaum. Für Augenblicke hörte sie nur Blubbern und Brausen, dann drehte sie sich unter Wasser und stieß mit dem Kopf durch die Oberfläche. Griffin lenkte Matador in ihre Richtung, zügelte das Seepferd zwei, drei Schritt entfernt, öffnete hektisch die Schnallen seiner Sattelgurte und sprang zu ihr ins Wasser. Mit einem kräftigen Schwimmstoß war er bei ihr, und dann umarmten sie sich und küssten sich und hatten das Gefühl, als hätten sich der Mahlstrom und die Klabauter und die ganze Welt um sie herum in Luft aufgelöst.
    »Ich bin dem Schiff gefolgt«, stieß er atemlos hervor, während immer wieder Wasser gegen sein Gesicht schwappte. »Als du fort bist aus Aelenium . mit der Carfax …« Er schnappte nach Luft.

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