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Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber

Titel: Die Wellenläufer 03 - Die Wasserweber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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keinen Zweck, die Ereignisse totzuschweigen. Und so wenig, wie er ihr verzeihen konnte, was geschehen war, hatte sie Verständnis für sein Verhalten. Da war so viel Selbstsucht in ihm gewesen, so viel Zorn und gekränkte Eitelkeit.
    Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, erkannten sie unter sich den Meeresgrund. Felszacken reckten sich ihnen aus dem Dunkel entgegen. Im ersten Moment sahen sie aus wie Gestalten in Kapuzenmänteln. Unförmige Steinstrukturen griffen wie Knochenfinger nach ihnen. Die Klippen erhoben sich aus einem dunkelgrauen, felsigen Untergrund, einer Ebene, die sacht abwärts führte - hinab zum Schorfenschrund.
    Dreißig Meilen, durchfuhr es Jolly eisig. Ihr wurde todschlecht.
    »Die Stelle da vorne sieht gut aus«, sagte Munk.
    »Gut?«, fragte sie spöttisch, aber gleich darauf tat es ihr Leid. Wer war denn nun diejenige, die Streit suchte?
    Die Stelle, auf die Munk zeigte, lag ein Stück weiter nördlich - vorausgesetzt Norden war tatsächlich dort, wohin das Gelände abfiel. Sie wussten nur, dass der Schorfenschrund der tiefste Punkt weit und breit war, jedenfalls hatte das Urvater behauptet.
    Mit raschen Schwimmstößen bewegten sie sich seitwärts und ließen sich zu Boden sinken. Beide trugen Sandalen mit festen Sohlen, die dem Wasser kaum Widerstand boten und sie vor grobem Untergrund schützten, solange sich die Landschaft nicht allzu sehr vom Festland unterschied. Aber wer konnte schon wissen, ob an solch einem Ort nicht alles ganz anders aussah? Galten hier überhaupt irgendwelche Gesetzmäßigkeiten der Oberfläche?
    Fröstelnd wurde Jolly bewusst, dass sie die ersten Menschen waren, die in diese Tiefen des Ozeans vordrangen. Oder nein, nicht die allerersten - vor einigen tausend Jahren waren schon einmal Quappen aufgebrochen, um den Mahlstrom zu besiegen. Damals hatte er zum ersten Mal versucht, die Grenzen zum Mare Tenebrosum niederzureißen. Die Quappen, so hieß es, hätten ihn in der Muschel im Schorfenschrund eingesperrt, bis es ihm vor vierzehn Jahren gelungen war, seinen Kerker zu sprengen. Gleich darauf waren neue Quappen geboren worden, von denen seither alle bis auf zwei ums Leben gekommen waren. Nur Jolly und Munk waren übrig. In ihrer Verantwortung lag es nun, den Weg der Quappen noch einmal zu gehen und den Mahlstrom zu bezwingen.
    Die Landschaft war bedrückend in ihrer absoluten Ödnis. Der Boden sah aus wie eine Mischung aus erkalteter Lava und fest gebackener Asche. Pflanzen gab es weit und breit keine, laut Urvater konnte in solchen Tiefen nichts mehr gedeihen. Nicht einmal Flechten bedeckten das Gestein, alles war kahl und öde wie die Gipfel der Vulkaninseln, die Jolly von ihren Fahrten mit Bannon kannte.
    Auch Fische zeigten sich keine, wenngleich Jolly das Gefühl nicht abschütteln konnte, dass sie aus Spalten und Ritzen in der porösen Felsoberfläche beobachtet wurden. Es musste Leben hier unten geben, und mit einem Schaudern dachte sie an all die Geschichten von Riesenkraken und anderem Getier, das angeblich am Grund der Meere hauste.
    Von ihrem Fuß aus wirkten die Felsnadeln um sie herum noch höher und bizarrer. Manche sahen aus, als hätte jemand schwarze Schlacke aufeinander getürmt und halb zerfließend erstarren lassen. Andere waren so scharfkantig, dass es wehtat, sie nur anzuschauen. Nicht wenige ähnelten grotesken, verzerrten Körpern, die sich wie Riesen über sie beugten und dabei Zähne aus dunklem Gestein fletschten. Vor allem jene, die am Rande ihres Blickfeldes lagen, schienen sich zu bewegen, wenn man nicht genau hinsah.
    Jolly biss sich auf die Unterlippe, in der Hoffnung, der Schmerz würde sie von ihren Ängsten ablenken. Es half nicht, kein Wunder. Sie schob ihren Rucksack zurecht, kontrollierte alle Schnallen und Gurte, dann wandte sie sich zu Munk um.
    »Gehen wir«, sagte sie und sog mit einem tiefen Atemzug frisches Salzwasser in ihre Lunge.
    »Ja«, sagte er leise. »Machen wir uns auf den Weg.«

Die Schwelle zum Krieg

    Bei seiner Rückkehr nach Aelenium wurde Griffin bewusst, wie sehr sich die Stadt innerhalb weniger Tage verändert hatte.
    Der Korallenberg starrte vor Waffen und Kriegsmaschinen. Die Märkte, die es noch vor ein, zwei Wochen an zahlreichen Stellen des Gassenlabyrinths gegeben hatte, waren verschwunden. Auf dem Platz der Geschichtenerzähler wurden Sandsäcke und Kisten mit Waffen gestapelt. Im Dichterviertel, das gleich unterhalb des zweiten Verteidigungswalls lag, patrouillierten Soldaten; auch hier gab es

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