Die Welt auf dem Kopf
wirkliche Freunde sind nicht darunter. Außerdem erinnerst du mich an jemanden, der mir sehr nahesteht … aber das ist lächerlich.«
»Lächerlich?«
»Du bist genau wie die Tochter, die ich gern gehabt hätte, ein junges Mädchen mit einer Umhängetasche voller Bücher und blond und blass und ebenso verständnisvoll und elegant wie du.«
»Und genauso ein Wirrkopf wie ich.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen.«
»Woran?«
»An dem Geruch nach Verbranntem, der immer aus deinem Küchenfenster steigt. An dem Scheppern, wenn dir mal wieder ein Kochtopf auf den Boden fällt. An der Art, wie du Wäsche aufhängst. Und – aber nicht dass du denkst, ich wollte dich kritisieren – an dem Getränk, das du mir bei meinen Besuchen anbietest.«
»Ich biete Ihnen immer nur Tee an.«
»Genau.«
»Dann wollen Sie also nicht, dass ich jetzt Tee machen gehe?«
»Nein danke. Ich würde nur gern mit dir reden. Bleib einfach bei mir sitzen. Und du versprichst mir wirklich, dass du das Geheimnis für dich behältst?«
»Ich verspreche es.«
»Als mein Mann die fünfundsechzig überschritten hatte, bekam er plötzlich gewisse Begierden, und zwar ziemlich abartige. Er begann, sich schmutzige Zeitschriften zu kaufen, du weißt schon, was ich meine. Und er wollte, dass ich das, was auf den Fotos zu sehen war, nachmache. ›Aber ich bin eine alte Frau‹, sagte ich ihm, ›ich bin alt und verwelkt. Das hätten wir früher ausprobieren müssen. Und war es nicht auch so schön zwischen uns? Ist es nicht langsam an der Zeit, uns auszuruhen und wie Bruder und Schwester zusammenzuleben? Ist es nicht bei allen Paaren so, nach fünfzig Jahren Ehe?‹ Inzwischen bin ich mir sicher, dass die Signora von unten seine Geliebte ist, und mir ist auch klar, warum: weil sie das macht, was in diesen ekelhaften Zeitschriften abgebildet ist. Schämen sollte sie sich. Sie ist doch genauso alt wie ich. Was bildete sie sich eigentlich ein? Dass sie als Hausherrin in den oberen Stock einziehen kann? Dass ich nicht mehr zurückkommen würde?«
»Sie hat sich überhaupt nichts eingebildet. Anna ist der argloseste Mensch, den ich kenne.«
»Berechnend wie eine Nutte, das ist sie. Du weißt ja, dass ihre Mutter eine Hure war? In der Marina wissen es alle.«
»Aber Anna ist keine Hure, und ich versichere Ihnen, dass sie viel zu gut ist, um berechnend zu sein.«
»Du bist noch zu jung, um gewisse Dinge zu begreifen. Wenn du mal in diesen Heften geblättert hättest, wüsstest du, wovon ich rede.«
»Aber ich habe sie angeschaut.«
» Mon dieu! Du armes Mädchen. Solche Dinge sehen zu müssen, in deinem Alter!«
»Johnson senior kann nichts dafür, glauben Sie mir. Das Unglück ist schuld daran, dass ich alle möglichen Informationen über Sex sammle.«
» Mon dieu! Was für ein Unglück?«
»Das meiner Eltern. Ich habe gehört, wie mein Vater das Mädchen, in das er sich verliebt hatte und wegen dem er sich dann umgebracht hat, als Sexgranate bezeichnete. Später, nach dem Tod von Lady Di, habe ich dann in einer Zeitschrift gelesen, dass Prinz Charles diese hässliche Frau, Camilla, seiner schönen Ehefrau vorgezogen hatte, ebenfalls wegen dem Sex, und dass König Edward VIII. von England auf den Thron verzichtete, weil er eine Bürgerliche liebte, Wallis Simpson, und dass diese Wallis ihn mit gewissen Künsten bezirzte, die sie sich in einem Freudenhaus in Schanghai angeeignet hatte. Da habe ich mir gedacht, wenn ich diese Künste ebenfalls erlerne, wird mich nie ein Mann wegen einer anderen Frau verlassen, wie es Mama mit Papa passiert ist. Diese Schülerin war hässlich, sie hatte sogar den Ansatz eines Oberlippenbarts, und ich erinnere mich, dass er mich pikste, als sie mich zur Begrüßung küsste. Und deshalb interessiere ich mich jetzt für alles, was mir hilft, denselben Weg zu beschreiten wie Wallis Simpson mit ihrem Besuch in diesem Freudenhaus in Schanghai.«
»Ich zweifle keinen Moment, dass dir deine verdorbene Freundin, diese Hure, diesen Weg weisen wird.«
Bei diesen Worten sprang ich auf und wollte sie zum Gehen auffordern, aber dann begann sie zu schluchzen, und ich sagte, sie könne so lange bleiben, wie sie wolle, jedoch unter der Bedingung, dass sie nicht schlecht über Anna rede.
»Aber wisst ihr eigentlich, dass alles mir gehört?«, sagte sie. »Mein Mann besaß nur ein Haus, und zwar an einem der berühmtesten Orte Sardiniens, eine wunderschöne Villa, zu deren Kauf ich ihn ermutigt hatte, als er noch gut verdiente
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