Die Welt auf dem Kopf
können – und der andere auffallend schön, wie ein Engel. Und da verstand ich, warum Natascha mir verboten hatte, ihren Verlobten anzuschauen, und sei es auch nur hinter einem Fensterladen verborgen, und warum sie so eifersüchtig war. Wer wäre das nicht gewesen, bei einem so schönen Verlobten? Sie weiß ja nicht, dass von mir keine Gefahr droht, denn ich liebe Johnson junior und werde ihn immer lieben. Der andere, hässliche, musste demnach Omar sein.
Johnson junior ließ die anderen vorausgehen, und als er sicher war, dass sie draußen auf der Straße auf ein Taxi warteten, und nachdem er offensichtlich gespürt hatte, dass ich hinter dem Fensterladen stand und weinte, rief er zu mir hinauf: »Ohne dich wird Paris für mich nicht Paris sein, Pasticcio!« Dann warf er mir eine Kusshand zu undverschwand. Ich war so berührt und so voller Verlangen, dass ich wie angewurzelt dastand. Ich wurde feucht, etwas, was mir noch nie passiert war, nicht einmal beim Betrachten der Pornohefte. Und da begann ich zu masturbieren, bis ich schließlich meinen Rhythmus fand, der sich zu einer ungekannten Lust steigerte. Ich schrie, aber was herauskam, war kein wirklicher Schrei, sondern ein wohliger Seufzer. Seitdem masturbiere ich häufig. Dazu rufe ich mir die Szene vor Augen, wie Johnson junior seine Hand küsst und mir eine Kusshand zuwirft. In diesem Moment ist mein Verlangen so groß, dass es schmerzt und ich ganz feucht werde und unbedingt von Neuem dieses unglaubliche Lustgefühl spüren möchte.
Das Konzert von Johnson senior und seinen Musikerfreunden muss ein ganz außergewöhnliches Erlebnis gewesen sein, sowohl für die kleine Abordnung aus Cagliari als auch für das gesamte Publikum, das restlos begeistert war. Der Applaus wollte nicht enden. Kurz darauf wurde die Marina von Journalisten belagert; sie erkundigten sich in den umliegenden Geschäften des Viertels nach dem großen Violinisten, weil dieser selbst unauffindbar war. Natürlich bekräftigten alle, was für ein äußerst liebenswerter Mensch er sei, und verschwiegen dabei, was sie kurz zuvor noch über ihn gedacht hatten, nämlich dass er wie ein Penner aussieht. Aber berühmte Menschen können sich anziehen, wie es ihnen beliebt, und in einer noch so verbeulten Schrottlaube herumfahren. Uns allen ist klar geworden, was für ein großartigerKünstler Mr. Johnson ist, wie das Publikum ihm zu Füßen lag und welch großer Verlust es für seine Fans war, als er völlig unerwartet von der Bühne verschwand.
Annina spricht unentwegt von Paris, von den schrägen Dächern, den Schornsteinen, die die gleiche Farbe wie der Himmel angenommen haben – Grau, aber kein tristes Grau, sondern ein fröhliches, mit einem leichten Stich ins Bläuliche. Ach, und die Boote. Diese stumm dahingleitenden Boote auf der Seine. Ach, Paris! Von Anfang an hatte sie das Gefühl, in dieser Stadt geboren zu sein.
Sie erzählte mir, dass sie sich das Haus der Johnsons angesehen hatten, das, in dem sie früher gewohnt hatten. Die Wohnung liegt direkt gegenüber den Tuilerien und befindet sich im dritten Stock eines palastartigen Gebäudes aus dem achtzehnten Jahrhundert mit schmiedeeisernen Balkonen und schweren Vorhängen hinter den französischen Fenstern. Außerdem fuhren sie mit dem Zug in die Banlieue , um sich auch das Haus anzuschauen, wo Johnson junior und Giovannino vor ihrem Umzug nach Mailand wohnten, aber ebenfalls nur von außen, weil sie es vermietet haben, bis Giovannino und sein Vater wieder zurückkehren. Es ist ein recht schlichtes Häuschen, aber sehr französisch, und von Büschen und Bäumen umgeben.
Das Konzert war ein Riesenerfolg. Das Einzige, was Anninas Genuss trübte, war ihre große Angst um Levi, weil er mit seinen Schuhen, deren Schnürsenkel er wie immer nicht zugebunden hatte, viel zu nah am Bühnenrand stand. Alsirgendwann seine Schuhspitze bedrohlich über den Rand hinausragte, vor dem sich der Abgrund auftat, wäre ihr beinahe vor Schreck das Herz stehen geblieben. Doch dann kehrte Johnson senior Gott sei Dank wieder zur Bühnenmitte zurück, wo er in Sicherheit war.
Zwölf
N achdem alle Zeitungen von dem fantastischen Comeback des großen Levi Johnson berichtet hatten, beschloss die Signora von oben, nach Hause zurückzukehren. Frisch geliftet und mit dem erschrockenen Gesichtsausdruck von Frauen, die Schönheitsoperationen hinter sich haben. Aber schön ist sie schon. Allerdings frage ich mich, welchen Sinn es macht, sich von Kopf bis Fuß
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