Die Welt auf dem Kopf
mit seinen Konkurrenten. Immer stellte er sein Licht unter den Scheffel, verkaufte sich unter Wert. Und wenn es um die Teilnahme an einem wichtigen Wettbewerb ging, ergriff er stets Partei für die anderen. Er hasste es zu gewinnen. Als die Zeit seines Erfolgs vorüber war und er über den Triumph eines Freundes in der Zeitunglas, freute er sich, schnitt den Artikel aus und bewahrte ihn sorgfältig auf. Manchmal riss ich ihm diese verdammten Ausschnitte aus der Hand und zerfetzte sie.«
»Johnson senior kennt nun mal keine negativen Gefühle. Für ihn ist die Welt gut, genau wie für Giovannino, er gerät ganz nach seinem Großvater.«
»Von seinem Großvater kann er noch nichts übernommen haben, er wohnt ja erst seit ein paar Monaten bei ihm.«
»Das spielt keine Rolle, auf die DNA kommt es an. Haben Sie Ihren Enkel schon mal Geige spielen hören? Gewisse Talente sind eben vererbbar.«
»Ach ja, vererbbar … Wie auch immer, jedenfalls war ich damals, als wir noch durch die Welt reisten, glücklich, von wegen durchgeschüttelt! Eine Zeit lang wohnten wir in New York, weil ich wollte, dass sich unser Junge amerikanisch fühlte und dass er in Amerika studierte, aber Amerika tat ihm nicht gut.«
Mittlerweile kommt die Signora von oben auch in Hauskleidung und Pantoffeln zu mir, wobei es sich natürlich um sehr teure handelt, welche mit hohen Absätzen und Federbausch. Meistens ist ihr Augen-Make-up verschmiert, dann weiß ich, dass sie geweint hat.
Am liebsten würde ich sie auf der Türschwelle stehen lassen, weil ich zu Anna halte. Aber weil sie mir leidtut, bitte ich sie, hereinzukommen und auf dem roten Sofa mit dem flauschigen Wollbezug Platz zu nehmen, und biete ihr etwas zu trinken an.
»Was soll man eigentlich von dieser Geschichte mit der Signora von unten halten, die während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung gewohnt hat, aber, nachdem ich ihr großzügigerweise angeboten habe, als Haushälterin bei uns zu bleiben, alles stehen und liegen gelassen hat und in ihre Wohnung zurückgekehrt ist? Was habe ich ihr getan? Sie wird doch nicht die Geliebte meines Mannes sein? Sie ist doch schon alt, genau wie ich. Was wollen die beiden? Die Natur überlisten? Haben sie eigentlich keinen gesunden Menschenverstand? Wollen sie so tun, als wären sie noch Teenager? Als wären sie wieder jung? Und mein Sohn? Auch er wider die Natur! Ohne Zukunft. Alle ohne Zukunft. Der Vater, der Sohn und der Enkel, wobei Letzteren freilich keine Schuld trifft. Es ist schwer, glauben Sie mir, sehr schwer, jemanden zu lieben, der nichts, aber auch gar nichts von dem tut, was man gern möchte. Ich habe sogar schon an Selbstmord gedacht. Eine Zeit lang wollte ich nichts mehr von ihnen wissen, von allen dreien. Ich habe mir einen Vorrat von den Schlaftabletten angelegt, die mir mein Arzt seit Monaten verschreibt; Nacht für Nacht habe ich auf die Einnahme verzichtet, um genügend zusammenzubekommen und sie auf einmal zu schlucken. Aber leider habe ich sie zu lange aufgehoben, und als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, meinem Leben ein Ende zu setzen, war das Haltbarkeitsdatum der ältesten Packungen bereits abgelaufen.«
»Ich bitte Sie, Mrs. Johnson«, sagte ich und nahm ihreHände in meine, »Sie dürfen nicht mehr an Selbstmord denken.«
»Wie soll ich nicht mehr daran denken, angesichts all dieser Dinge, die wider die Natur sind?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Was ist wider die Natur?«
»Da gibt es nichts zu verstehen. Es sind nun einmal Amerikaner. In Amerika gibt man sich nicht mit dem normalen Lauf der Dinge ab. Und mein Mann ist nicht umsonst Amerikaner und mein Sohn auch nicht umsonst der Sohn eines Amerikaners.«
Dreizehn
E ines Tages erschien Mrs. Johnson wieder einmal an meiner Tür und sagte: »Hallo! Sollen wir uns nicht lieber duzen?«
»Natürlich, bitte, kommen Sie herein … das heißt, komm doch herein. Nein, es fällt mir schwer, Du zu sagen. Machen wir es so: Sie duzen mich, und ich sieze Sie.«
»Entschuldige, dass ich dich störe, aber in letzter Zeit quält mich ein Gedanke, und ich habe sonst niemanden, mit dem ich darüber reden kann.«
Wir setzten uns wie gewohnt auf das flauschige rote Sofa.
»Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Ja.«
»Versprichst du es?«
»Ich verspreche es. Aber warum wollen Sie es ausgerechnet mir anvertrauen, Mrs. Johnson?«
»Ich wüsste nicht, wem sonst.«
»Haben Sie denn keine Freunde in Cagliari?«
»Ich kenne viele Leute, aber
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