Die Welt aus den Fugen
in allen Kontinenten vorgefunden habe. Wir erwähnen die Flucht des präsumptiven Nachfolger Mao Zedongs, des Marschalls Lin Biao, und den Absturz seines Flugzeugs. General Otgonjargal, der damals die höchste Sicherheitsbefugnis der Volksrepublik Mongolei wahrnahm, hatte den Leichnam Lin Biaos aus den Trümmern der Maschine geborgen. Die Agenten des sowjetischen KGB, die sofort zur Stelle waren, trennten den Kopf des chinesischen Marschalls ab, um ihn in Moskau identifizieren zu lassen.
Da so oft von den Problemen der Volksrepublik China mit ihren ethnischen Minderheiten â Tibeter und Uiguren â die Rede ist, bietet die »ÃuÃere Mongolei«, wie man einst sagte, eine zentrale Plattform für realistische Beurteilung. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion genieÃt der zentralasiatische Staat volle Unabhängigkeit in der groÃen Gemeinschaft der Vereinten Nationen. Als ich mich mit hohen Offizieren der mongolischen Armee unterhalte, die über nur 10000 Soldaten, aber vorzügliche, in RuÃland und USA ausgebildete, Chargen verfügt, stelle ich die Frage, wie man denn in Ulan Bator den Druck empfände, der zwangsläufig von den beiden gigantischen Nachbarn in Nord und Süd ausgeübt wird. Die Chinesen gingen subtiler und geschmeidiger vor, so erfahre ich, während die Russen plumper und fordernder, aber am Ende weniger effizient aufträten.
Noch bis vor wenigen Jahren war das gesamte mongolische Territorium auf den Landkarten, die in Taiwan gedruckt wurden, als unveräuÃerlicher Bestandteil Chinas eingezeichnet. Seitdem ist man in Taipeh realistischer geworden, zumal die kommunistische Volksrepublik China ihren Verzicht auf die Heimat Dschingis Khans schon unmittelbar nach ihrer Proklamierung den damals eng verbündeten Moskauer Parteifreunden zugestand. Heute existiert neben der Republik von Ulan Bator noch die sogenannte »Innere Mongolei«, die sich in einem endlos langen Streifen von der sibirischen Grenze am Amur bis in das Vorfeld der Republik Kasachstan hinzieht. Diese »Innere Mongolei« zählt zu den fünf »Autonomen ÂRegionen« Chinas. Als ich mich im Jahr 1980 in deren Hauptstadt Hohhot aufhielt, konnte ich ermessen, welches Schicksal wohl auch die anderen Autonomen Regionen der Volksrepublik, zumal Tibet und Xinjiang, das früher einmal »Ost-Turkestan« hieÃ, erwartet. Die Mongolen von Hohhot haben ihre eigene Sprache, ihre Schrift, ihr Brauchtum und nach abklingender Kulturrevolution auch ihre buddhistischen Klöster beibehalten. Aber sie machten schon damals nur siebzehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Dieser Anteil dürfte seitdem noch geringer geworden sein. Durch eine Flut einwandernder Han-Chinesen wurden sie total marginalisiert.
Ãhnlich wird es auf Dauer wohl auch den Tibetern ergehen. In deren Hauptstadt Lhasa war die ursprüngliche Rasse dieses Hochlandes bei meinem letzten Besuch auf weniger als die Hälfte geschrumpft. In absehbarer Zeit dürften die Tibeter in den Status einer Minorität in ihrer eigenen Region gedrängt sein. Was nun die »Autonome Region der Uiguren und Kasachen« betrifft â so lautet die offizielle Bezeichnung von Chinesisch-Ost-Turkestan â, so wird der forcierte Zuzug von Han-Chinesen â zumal dort eine beeindruckende industrielle Entwicklung stattfindet â gegenüber den neun Millionen Angehörigen des uigurischen Turkvolkes ebenfalls eine gründliche Umschichtung zugunsten Pekings bewirken.
Daà Ulan Bator und die ÃuÃere Mongolei diesem ungeheuren Sog widerstehen konnte, verdankt die Republik dem Umstand, daà während des russischen Revolutionskrieges zwischen »Weià und Rot« eine zaristische Truppe dort gemeinsam mit der gespenstischen Erscheinung des baltischen Barons Ungern-Sternberg, der sich die Mongolen als Wiedergeburt Dschingis Khans vorstellte, verzweifelten Widerstand gegen die vorrückenden Bolschewiki leistete. Nach dem Sieg der Rotarmisten erhielten die dortigen Mongolen die Chance, einen separaten sozialistischen Staat zu gründen, der unter dem exklusiven Einfluà Moskaus stand. Bemerkenswert ist übrigens, daà die staatliche Annektion sowohl Tibets als auch Ost-Turkestans und der Mongolei unter der Herrschaft Qian Longs, des bedeutendsten Kaisers der Mandschu- oder Qing-Dynastie, erfolgte. Dieser »Sohn des Drachen«, der erst in den Tagen der Französischen
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