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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Mongolen, die vor 800 Jahren eine immense, aber zerbrechliche Weltherrschaft errichteten, zur rechten Zeit. Im Herzen Asiens überschneiden sich die Kraftlinien. Wer erwartet hätte, daß hier zwangsläufig eine historische Gegnerschaft zwischen Slawen und Asiaten auch in unseren Tagen ausgetragen würde, stößt im Gegenteil auf eine behutsame gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Moskau und Peking. In der noch vor fünfzig Jahren heftig umstrittenen Pazifikregion der russischen Provinz Primorje und der chinesischen Mandschurei geht es heute extrem kooperativ, fast freundschaftlich zu. Dabei ist man sich im Kreml sehr wohl bewußt, daß die Zeit, als der zaristische Admiral Murawjew einem eingeschüchterten Mandarin mit breitem Rotstift die jüngste Expansion Rußlands auf die Landkarte pinselte, der fernen Vergangenheit angehört. Auch die verlustreichen Gefechte, die die Sowjetarmee am ostsibirischen Ussuri-Fluß gegen die tobenden Rotgardisten der maoistischen Kulturrevolution zu bestehen hatte, werden heute nicht mehr erwähnt.
    Eines ist jedoch gewiß, der asiatische Raum Rußlands jenseits des Ural wird von chinesischen Waren und Produkten ge­radezu überschwemmt. Die slawische Besiedlung der russischen Fernostgebiete, wo sich einst die gefürchteten Gulags aneinanderreihten, ist bis auf einige Städte wie Wladiwostok, Magadan oder Petropawlowsk praktisch zum Erliegen gekommen. Zwischen Baikalsee und Pazifik ist eine demographische Leere entstanden, die unmittelbar an die chinesischen Menschenmassen in der Mandschurei grenzt. Dort haben seit 1911 mindestens 120 Millionen zugereiste Angehörige der Han-Rasse wuchtige und hochmoderne Ballungszentren aus dem Boden gestampft.
    Die in Moskau befürchtete Überschwemmung seiner östlichen Provinzen hat jedoch bisher nicht stattgefunden, und die Händler der weit ausgreifenden Chinesen-Märkte, die sich überall etablieren, müssen laut Vereinbarung nach ein paar Monaten in ihre Heimat zurückkehren, um einer begrenzten Zahl von Neuankömmlingen aus dem Reich der Mitte Platz zu machen. Während die US Navy in unmittelbarer Nähe der russischen und chinesischen Pazifikküste gemeinsam mit ­Japan und Südkorea Flottenmanöver veranstaltet, erwidern Russen und Chinesen diese Provokation mit eigenen militärischen Demonstrationen. Zur Zeit Maos wurde ich von meinen chinesischen Gesprächspartnern immer wieder vor der Aggres­sivität des »russischen Polarbären« gewarnt, der ja auch Europa bedrohe. Der »Große Steuermann« hatte seine Städte systematisch auf einen nuklearen Überfall durch die Sowjet­union vorbereitet und berief sich auf die Milliardenanzahl ­seiner Untertanen als »ultima ratio« in der angeblich unvermeidlichen Abwehr des verfeindeten kommunistischen Nachbarn im Norden. Damals, zumal zu Zeiten Chruschtschows, wurden sowjetische Armeen in den östlichen Außenbezirken der mongolischen Volksrepublik massiert, die von der Hauptstadt Peking gar nicht so fern ist.
    Das alles hat sich gründlich verändert, ja ins Gegenteil verkehrt. Jiang Zemin mußte feststellen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika die Volksrepublik China als ihren gefährlichsten Gegner und Rivalen einzukreisen suchen. Das postkommunistische Rußland wiederum wird durch die Förderung separatistischer Tendenzen, die Umleitung von Pipelines und jede Form von Schikanen in die Enge getrieben. Der angekündigte Ausbau eines »Raketenzauns« in Osteuropa, der angeblich und zur großen Erheiterung Putins Europa und Nordamerika vor den Nuklearattacken der Islamischen Republik Iran schützen soll, verstärkt den »Zangengriff« gegen das russische Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die europäischen NATO-Verbündeten der USA sollten sich reiflich überlegen, ob sie diesem fragwürdigen amerikanischen »Schutzschirm« ihre Zustimmung und Kooperation gewähren.
    Rußland ist auch nach der Loslösung der zentralasiatischen, baltischen und kaukasischen Teilrepubliken der Sowjetunion ein Vielvölkerstaat geblieben. In dieser Hinsicht besteht eine Interessengemeinschaft mit dem Politbüro von Peking. Ein intensiver Partisanenkrieg der Kampa-Krieger im Himalaya sollte mit Hilfe der amerikanischen CIA lange Jahre nach dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee in Lhasa und der Flucht des Dalai Lama dem chinesischen Zugriff auf

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