Die Welt aus den Fugen
bescheiden aus. Sie blieben zudem auf einen engen geographischen Raum in der Levante beschränkt. Es war der Mamelucken-Sultan Baibars, der die letzten Festungen der fränkischen Eindringlinge eroberte und dem himmelstürmenden Abenteuer des Abendlandes ein Ende setzte.
Ibn Khaldun verfaÃte den umfangreichen »Diskurs über die Universalgeschichte« während seiner diversen Lebensabschnitte als Qadi oder Lehrer am Hof der marokkanischen Meriniden, in der algerischen Oase Biskra am Rande der Sahara, in der El-Azhar-Universität von Kairo und im belagerten Damaskus. Seinen profunden und voluminösen Ausarbeitungen gab er seltsamerweise den Titel »El Muqaddima«. Sie wurden später mit dem französischen Wort »Prologomènes« übersetzt, und im Deutschen finde ich beim besten Willen für den Titel keine andere Ãbersetzung als »Vorwort«, »Einleitung« oder »Einführung«. Man möge es nicht als AnmaÃung betrachten, wenn ich für den ersten Teil dieses Buches auf den Ausdruck »El Muqaddima« zurückgegriffen habe. Aber es lohnt sich, im Werk Ibn Khalduns zu blättern, der sich vor 600 Jahren an eine wissenschaftliche Arbeit heranwagte, die im arabischen Raum bis auf den heutigen Tag nicht ihresgleichen gefunden hat. So wie ich am Anfang dieses Buches zur Deutung der überstürzten Entwicklung unserer Tage immer wieder angelsächsische Zeitzeugen zu Wort kommen lieÃ, zitiere ich beim Versuch, der politischen Psychologie unserer islamischen Nachbarschaft gerecht zu werden, einige Passagen Ibn Khalduns, die die Einheitlichkeit und die verwirrende Widersprüchlichkeit dieses Kulturkreises erhellen.
In weiten Teilen der islamischen »Umma« ist heute die Hoffnung auf die Wiedererrichtung einer höchsten geistÂlichen und weltlichen Autorität lebendig geworden. »In Abwesenheit eines Propheten«, so dozierte Ibn Khaldun, als sich die »Zeit der Düsternis« über die Völker des Orients senkte, »bedarf eine religiöse Gemeinschaft einer Person, die Autorität über sie ausübt und in der Lage ist, die Menschen zu zwingen, in Befolgung der offenbarten Gesetze zu leben. Dieser Auserwählte nimmt gewissermaÃen die Stellung eines Statthalters, eines Kalifen des Propheten Mohammed ein, da er über den Respekt der Verpflichtungen wacht, die der Prophet uns auferlegte ⦠Dabei kann es keine Trennung geben zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht. Der Herrscher soll diesen Bereichen zur gleichen Zeit seine Kräfte widmen.«
Ãhnlich könnte sich in unseren Tagen ein wahhabitischer Prediger äuÃern, aber man muà die »El Muqaddima« Ibn Khalduns im Rahmen seiner Epoche bewerten. Vermutlich hat er sich von dem andalusischen Philosophen Ibn Ruschd, bei uns unter dem Namen Averroes bekannt, inspirieren lassen, dessen freizügige theologische Interpretation eine Art islamischer Inquisition auf den Plan rief, sowie von jenem zentralasiatischen Wissenschaftler Ibn Sina, der bei uns Avicena heiÃt. Avicena hatte bereits im 9. Jahrhundert eine medizinische Heilkunst entwickelt, die erst sehr viel später vom Abendland übernommen wurde. Beide â Avicena und Averroes â bezeichneten sich als geistige Jünger des Aristoteles und entkamen nur knapp der Verfolgung durch die streng koranischen »Ulama«. Ibn Khaldun äuÃerte sich deshalb sehr vorsichtig zu den Lehren dieses griechischen Vorläufers, der ihm zufolge die These vertrat, daà der Mensch auch ohne religiöse Gesetzgebung durch sein angeborenes Gewissen in der Lage sei, das Gute vom Bösen zu unterscheiden.
»Der Gründer dieser philosophischen Schule«, so schreibt Ibn Khaldun, »war Aristoteles, der aus dem byzantinischen Territorium Makedonien stammte. Er war ein Schüler Platos und Lehrmeister Alexander des GroÃen. Selbst im Bagdad der Abbassiden verehrte man Aristoteles vorübergehend als âºObersten Lehrmeisterâ¹Â â âºmuallim-el-awalâ¹, denn er beherrschte die bis dahin vernachlässigte Kunst der Logik. Als erster hatte Aristoteles ein System entworfen, das alle Probleme umfaÃt und sie gründlich überprüft.«
Es besteht kaum ein Zweifel darüber, daà die Lehren der helÂleÂnischen Philosophen und vorrangig die Aristotelische Bewertung der menschlichen Vernunft auf dem Umweg über das islamisierte Spanien
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