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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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energisch entgegengetreten. Gewiß, die Söhne und Enkel der Kriegsgeneration verdanken der »Gnade der späten Geburt«, wie Helmut Kohl es treffend formulierte, daß sie von jeder Erblast und Schuld befreit sind. Aber die Nationalsozialisten waren keine »Roten Khmer«, und die industriell betriebenen Vernichtungsfabriken des Holocaust lassen sich für jemanden, der Südostasien kennt, in keiner Weise mit den primitiven »killing fields« von Kambodscha vergleichen. Daß das »Volk der Dichter und Denker« sich in diesen Abgrund reißen ließ, so ähnlich formulierte es der ehemalige Bundeskanzler, verweigere ihm auch weiterhin den Anspruch auf eine kontinentale Führungsrolle. An dieser traurigen Realität werden weder Martin Walser noch Thilo Sarrazin etwas ändern können.
    Im Falle eines Wiederauflebens protziger Kraftmeierei wäre Deutschland übrigens sehr schnell von einer argwöhnischen, mißgünstigen Koalition seiner Nachbarn umringt. Helmut Schmidt hat in aller Offenheit zugegeben, daß ihm als Hanseaten und Protestanten eine besonders enge Bindung an Großbritannien am liebsten gewesen wäre. Aber er mußte – ähnlich wie Gerhard Schröder nach ihm, der mit der »New Labour« Tony Blairs paktieren wollte – feststellen, daß Albion seine exklusive transatlantische Solidarität mit den amerikanischen »cousins« zur Leitschnur seiner Außenpolitik gemacht hat. Sein Entschluß, mit Frankreich eine prioritäre Partnerschaft zu pflegen, die sich durch das Vertrauensverhältnis zu dem damaligen französischen Präsidenten Giscard d’Estaing vertiefte, war für die »Achse« Pari s– Bonn, wie es damals noch hieß, von grundlegender Bedeutung. Die Verbrüderung mit dem gallischen »Erbfeind« konnte von nun an nicht mehr als die Marotte deutscher Karolinger diskreditiert werden, die im rheinischen und katholischen Westen Deutschlands beheimatet waren.
    In Zukunft wird alles viel schwieriger sein. Wie es zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl zu einer an Freundschaft grenzenden Übereinstimmung kommen konnte, bleibt angesichts der totalen Unterschiedlichkeit der beiden Charaktere ein Rätsel. Daß Mitterrand, dem seine Gegner jeden Verrat zutrauten, eine für ihn ganz ungewöhnliche Sentimentalität im Umgang mit dem »schwarzen Riesen« aus der Pfalz zur Schau trug, hatte dazu beigetragen, daß die strategische Abstimmung und Koordinierung der beiden Armeen konkrete Form annahm, daß sogar über den gemeinsamen Nutzen der französischen Nuklearabschreckung im Extremfall geredet wurde. Unter den heutigen Umständen ist das kaum noch vorstellbar. Statt dessen hat Frankreich mit seinem historischen Erbfeind, der nicht Deutschland, sondern England heißt, eine Spur von »Entente cordiale« wieder aufleben lassen. Dabei wurden die Komplementarität der Waffensysteme und gewisse Krisenszenarien entwickelt. Diese Konkordanz vertiefte sich im Luftkrieg gegen den libyschen Diktator Qadhafi, während die Bundesrepublik Deutschland pazifistisch und neutral beiseite stand.
    Viele Deutsche äußern die Befürchtung, daß die europäische Währungsunion durch die Präsenz der romanischen Mittelmeerländer belastet, ja – wie manche meinen – zur Insolvenz verurteilt sei. Diesen Kritikern schwebt eine nordische, überwiegend protestantische Wirtschafts- und Finanzzone vor, die dem Schlendrian der südlichen Hungerleider und Steuerbetrüger einen marktkonformen Liberalismus entgegensetzt. Großbritannien, das sich ja ohnehin im Abseits gefällt, begeistert zwar immer noch mit seiner imperialen Allüre, entfaltet beim »trooping the colours« ein grandioses Spektakel. Aber die Betonung des insularen Nationalstolzes, der sich bei der Rückeroberung der Falkland-Inseln noch einmal bestätigte – eine kriegerische Leistung, die Whitehall heute rein materiell nicht mehr erbringen könnte –, täuscht nicht über die Finanz- und Verschuldungsmisere, über den erbärmlichen Zustand der Infrastruktur und über die Überflutung Britanniens durch die farbigen Untertanen des ehemaligen Empire hinweg. Mögen andererseits die skandinavischen Staaten einen hohen Lebensstandard und geordnete Verhältnisse genießen, eine bevorzugte Partnerschaft mit ihnen würde wenig erbringen.

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