Die Welt aus den Fugen
wir auf Ihrer Seite.« Vorher hatte er Washington irritiert, als er â lange vor dem Treffen Nixons mit Mao Zedong â die damals noch verfemte Volksrepublik China offiziell anerkannte. Daà die Europäer einer neuen, unverkrampften Beziehung zu ihren arabischen Nachbarn bedurften, hatte er vor allen anderen erkannt, wenn diese Absichten auch durchkreuzt wurden.
»Tu le regretteras«, hatte der Schlagersänger Gilbert Bécaud dem verstorbenen General nachgerufen, »du wirst ihm nachtrauern«. Zu einem Zeitpunkt, da die vielgerühmte ÂGlobalisierung mit einer kläglichen Provinzialisierung in den europäischen Parlamenten einhergeht, hält man vergeblich Ausschau nach verantwortlichen Staatsmännern mit einem Gespür für die auÃereuropäischen Umwälzungen, die von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnen.
Auch an dieser Stelle möchte ich auf Helmut Schmidt verweisen, der das Privileg genoÃ, mit dem todkranken Mao Zedong ein Gespräch zu führen. Er hat bestimmt darauf verzichtet, diesen asiatischen Despoten auf die Vorzüge der westlichen Demokratie einzuschwören. Mit dem chinesischen Gründer des blühenden Inselstaates Singapur, Lee Kwan Yew, pflegte er, wie er versichert, eine persönliche Freundschaft und hat nie Anstoà daran genommen, daà dieser konfuzianische Despot das Wohlergehen seiner Bürger durch autoritäre Verfügungen erzwang. Lee berücksichtigte die Lehren des konfuzianischen Philosophen Menzius aus dem 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Menzius oder Meng Zi berief sich auf zwei heilsame Prinzipien: die Güte des Herrschers und die kindliche Pietät der Untertanen. Er ging davon aus â wie es in Singapur offensichtlich gelungen ist â, daà ein Fürst, der sich dem Volk gegenüber wohlwollend verhält, sich seinerseits auf die aktive Zuneigung des Volkes stützen könne.
Wie lautete noch das schwermütige Nachkriegslied, das Marlene Dietrich vortrug? »Sag mir, wo die Männer sind, wo sind sie geblieben?« Sollte das auch auf die politische Szene Deutschlands zutreffen? An die Stelle einer schwächelnden Virilität ist in Berlin eine Frau getreten. Wir kommen nicht umhin, bei der Skizzierung der Gegenwart, die wir in diesen »Muqaddima« vornehmen, die ungewöhnliche Bedeutung zu erwähnen, die Angela Merkel â von amerikanischen Magazinen als »mächtigste Frau der Welt« bezeichnet â im Konzert der Mächte gewonnen hat. Ich kenne sie nicht genug, um eine Beurteilung ihrer Person und ihrer politischen Zielsetzung â falls sie eine solche besitzt â vorzunehmen. Bei flüchtigen Begegnungen fiel mir ihre Zurückhaltung auf, eine an MiÃtrauen grenzende Abkapselung, die aus ihrer Jugenderfahrung in der DDR herrühren mag. Sie ist zur Schlüsselfigur in der Eurokrise geworden, und wer könnte es ihr verdenken, daà sie in dieser Phase totaler finanzieller UngewiÃheit mit extremer Vorsicht taktiert. Angeblich hat sie in ihrem Amtszimmer, das ich nie betreten habe, ein Porträt der russischen Zarin Katharina II. aufgestellt, was auf groÃe persönliche Ambitionen schlieÃen lieÃe. Aber während die Zarin sich ihren Ausschweifungen hingab, befleiÃigt sich Angela Merkel einer geradezu pietistisch wirkenden Tugendhaftigkeit. Sie hat im Gegensatz zur GroÃen Katharina ihre politischen Gegner nicht umbringen lassen, aber es ist ihr mit beinahe unheimlicher List gelungen, alle potentiellen Rivalen auszuschalten und an die Wand zu spielen.
Daà sie mit ihrem Aufsatz über die Spendenaffäre Helmut Kohls in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« eine Art »Vatermord« begangen hat, mag ihr nicht leichtgefallen sein, aber diese Pfarrerstochter hat vermutlich bei Nietzsche gelernt, daà die »Staaten die kältesten aller kalten Ungeheuer« sind. Ihr Mangel an Reaktion, ihre Passivität in jener dramatischen Wahlnacht, als Gerhard Schröder sie in geradezu beleidigender Form als Kanzlerin zu diskreditieren suchte, wurde anfangs als Schwäche, als Schüchternheit ausgelegt. Heute fürchten ihre Gegner und mehr noch ihre Parteifreunde diese eisige Selbstbeherrschung, die ein wesentlicher Zug ihres Machtinstinktes ist. Bei aller bissigen Kritik, der sie neuerdings ausgesetzt ist, beweist die Kanzlerin eine unermüdliche Schaffenskraft, eine scheinbar unbegrenzte
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