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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Peking gebärdet sich die kommunistische Partei als gebieterische, alles kontrollierende, aber auch alles dynamisierende Führungskraft. Nicht einmal Mao Zedong hätte jedoch daran gedacht, einen leiblichen Nachkommen zum politischen Erben zu berufen, schon gar nicht Deng Xiaoping oder heute Präsident Hu Jintao.
    Das strahlende Vorbild der Mehrparteiendemokratie, das der Westen der übrigen Welt als Rezept für Fortschritt und Wohlergehen entgegenhält, hat leider viel von seinem Glanz eingebüßt: Die Deutschen verirren sich im Koalitionsgeplänkel, Frankreich verliert durch den Egozentrismus seines Präsidenten an Prestige, und der universale Hoffnungsträger Barack Obama ist dazu verurteilt, seine einst begeisterte Anhängerschaft zu enttäuschen.
    Immerhin hat es Obama zum Höhepunkt der Finanzkrise gewagt, Großbanken zu verstaatlichen. Angesichts der durch seinen Vorgänger George W. Bush verschuldeten Schwächung der US-Wirtschaft scheint sich das noch vor kurzem in Elend und Rückständigkeit darbende China wie ein Phönix aus der Asche zu erheben. Wer hätte vor zwanzig Jahren geglaubt, daß seriöse amerikanische Kommentatoren befürchten, in absehbarer Zeit könne Washington von Peking auf dem Gebiet der High Technology auf den zweiten Platz gedrängt werden?
    Â»Yes, we can«, hatte Obama verkündet. Aber auch auf militärischem Gebiet offenbart die chaotische Krisensituation zwischen Heiligem Land und Hindukusch die Unfähigkeit, mit jener Serie regionaler Kleinkriege fertig zu werden, die den USA vom revolutionären Islamismus trotz interner Zersplitterung aufgezwungen wird.
    Das Imperium Washingtons stößt wie alle ermattenden Giganten an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Es ist den psychologischen Anforderungen eines asymmetrischen Kriegs nicht gewachsen und greift immer noch ins Leere, wenn es gilt, dem Terrorphantom El Qaida den Garaus zu machen. Das gesamte atlantische Bündnis ist sich bewußt geworden, daß es auf militärischem Gebiet zwar über gewaltige materielle Kapazitäten, aber über kein gültiges strategisches Konzept mehr verfügt.
    Keine Hoffnung für Kabul
    19. 04. 2010
    Der Afghanistan-Krieg droht noch blutiger zu werden. Im zehnten Jahr dieses Konflikts ist der Punkt erreicht, an dem der westlichen Allianz ein Schachmatt droht. Bekanntlich kommt das Wort wie auch das Spiel aus dem Persischen. »Schachmatt« heißt in der Übersetzung: »Der König ist tot.« Der Mann, um den es sich in Kabul handelt und über dessen Sinneswandel die ganze Allianz in schiere Ratlosigkeit verfällt, ist alles andere als eine gebieterische Herrschergestalt. Präsident Hamid Karzai ist im Jahr 2001 auf der Petersberg-Konferenz bei Bonn von den Experten des amerikanischen Nachrichtendienstes ohne Konsultation der Alliierten auf den Schild gehoben worden.
    Der Sproß eines angesehenen Clans des Paschtunenvolkes war nicht einmal die schlechteste Wahl. Er hatte wacker gegen die sowjetische Besatzung gekämpft. Aber nach dem Blitzkrieg, den die Amerikaner 2001 gegen die Taleban geführt hatten, war Karzai in den Ruf eines Vasallen des US-Präsidenten Bush geraten.
    Ausgerechnet dieser Staatschef von Washingtons Gnaden hat sich nun gegen seine Gönner gewandt. Er hat die durch die US Air Force angerichteten Verluste bei der Zivilbevölkerung heftig verurteilt und den Abzug aller ausländischen Truppen verlangt. Der Gipfel war erreicht, als er die internationalen UNO-Kontrolleure, die die jüngste Präsidentschaftswahl überwacht und den massiven Wahlbetrug zugunsten Karzais festgestellt hatten, für die Manipulationen verantwortlich machte. Als wolle er Präsident Obama herausfordern, empfing er Ahmadinejad, den Präsidenten der Islamischen Republik Iran, den die USA als ihren erbittertsten und gefährlichsten Gegner im ganzen Orient einstufen.
    Jetzt ist die Ratlosigkeit groß. Denn eine Ersatzfigur für Karzai steht nicht zur Verfügung. Der gesamten Militärpräsenz der NATO am Hindukusch ist dadurch ihre wesentliche Grundlage entzogen. Da die neue Strategie der Annäherung an die Bevölkerung schon bei ihrem ersten Einsatz in der Provinz Helmand gescheitert zu sein scheint, sind auch die Alliierten in eine Sackgasse geraten. Zumal Präsident Karzai die nächste beabsichtigte Offensive gegen die Hochburg der Taleban in der Provinz Kandahar mit

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