Die Welt aus den Fugen
trotz des Streits um die heiligen Stätten zuverlässige Verbündete in der islamischen Welt zu finden. Solange der Schah in Teheran herrschte, konnte sich der Judenstaat auf die traditionelle Gewogenheit der Perser stützen. Auch die Türkei, die bis vor kurzem dem Säkularismus Atatürks huldigte, unterhielt mit Israel eine enge wirtschaftliche und auch militärische Kooperation. Aber im Nahen und Mittleren Osten haben sich die Verhältnisse grundlegend geändert. Seit Ayatollah Khomeini die Islamische Republik Iran proklamierte, sind die Bindungen zum Judenstaat einer wachsenden Feindseligkeit gewichen. Wie amerikanische Beobachter berichten, ist die Regierung von Jerusalem sogar in Peking in rüder Form vorstellig geworden, um die neue Weltmacht zur Teilnahme an Sanktionen gegen den Iran zu drängen. Solche Pressionen wird sich das auferstandene Reich der Mitte nicht gefallen lassen. Mit der Türkei ist der israelischen Regierung Netanjahu nunmehr ein Gegner erwachsen, auf den selbst Amerikaner und Russen zunehmend Rücksicht nehmen müssen.
Dennoch gibt es Optimisten, die sich an einen Kompromià auf der Basis eines saudiarabischen Vorschlages klammern. Demnach würde sich Israel in die Grenzen von 1967 zurückziehen und Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staates akzeptieren. Selbst die in Gaza regierende Hamas-Bewegung hat sich zu dieser Form eines unbegrenzten Waffenstillstandes bereit erklärt. Aber was wird dann aus den 300 000 israelischen Siedlern im Westjordanland und den in Ost-Jerusalem neu etablierten 250000 Juden? Wer wird Israel zumuten, jene vorgeschobenen Territorien zu räumen, die fast bis zum Jordan reichen? Das Beispiel des Gazastreifens, den die Israeli einseitig geräumt hatten, zeigt, daà die Raketeneinschläge gegen Tel Aviv eines Tages nicht etwa aus Iran kommen würden, sondern daà sie aus den arabischen Autonomiegebieten abgefeuert werden könnten. Schon vergleichen Skeptiker des amerikanischen State Department den Staat Israel mit den Fürstentümern der Kreuzritter des Mittelalters, die nach 200 Jahren Präsenz im Heiligen Land der islamischen Ãbermacht erlagen.
Der Kurs der Kanzlerin
13. 07. 2010
»Die kaiserlose, die schreckliche Zeit«, so klagte im Mittelalter das Volk in deutschen Landen, wenn an der Spitze des Heiligen Römischen Reiches eine Vakanz um die höchste Krone stattfand. Wer die heutige deutsche Presse liest, könnte den Eindruck erhalten, eine vergleichbare Lähmung sei wieder in der Bundesrepublik Deutschland entstanden. Eine solch dramatische Situation ist zwar nicht eingetreten, aber viele Durchschnittsbürger, die in der Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Fels in der Brandung sahen, glauben zu entdecken, daà sie den durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben mit Zögerlichkeit und hinhaltendem Taktieren nachkommt.
Am deutlichsten wurde diese Wendung, als Angela Merkel nicht in der Lage war, bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten die Mehrheit der Koalition auf ihren Kandidaten einzuschwören, und es erst im dritten geheimen Urnengang gelang, dem bisherigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Christian Wulff, dieses höchste Amt der Bundesrepublik doch noch zuzuspielen. »Am Abend weià man bei uns oft nicht mehr, wer Freund und Feind ist«, soll die Kanzlerin geäuÃert haben.
Welches Programm diese Frau, »die aus der Kälte kam«, welche auÃenpolitischen Absichten sie verfolgt, hat bisher niemand ergründen können. Undurchsichtig sind auch die Ziele ihrer Innenpolitik. Hatte sie sich noch auf dem Parteitag in Leipzig als Verfechterin eines neoliberalen, kapitalfreundlichen Kurses zu erkennen gegeben, so schaltete sie auf eine sozialdemokratisch wirkende Politik um, als der Ausgang der folgenden Wahl sie mit knapper Mehrheit als Kanzlerin gekürt und zu einer groÃen Koalition mit der SPD Willy Brandts zwang.
Was an dieser Frau, die in der Ãffentlichkeit häufig als »MutÂÂti« bezeichnet wird, irritiert, ist ihr ausgeprägter Machtinstinkt, mit dem sie alle potentiellen Gegner, aber auch Partner aus dem Felde schlug. Ihren Aufstieg nach der Wiedervereinigung verdankte sie dem damaligen Kanzler Helmut Kohl, der »das Mädchen«, wie er sie nannte, in seine Ministerriege aufnahm. Angela Merkel hat es ihm schlecht gedankt. Als Kohl wegen einer ungeklärten Parteispendenaffäre in
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