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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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privilegiert worden. Noch resoluter im Widerstand zeigt sich die Volksgruppe der Kurden im Norden des Irak, die hier bereits einen autonomen Staat mit eigener Armee und Flagge gebildet hat.
    Nichts ist geregelt im Irak, und die Proklamation aus Wa­shington drückt Zweckoptimismus aus. Ein wenig erinnert die Situation an den amerikanischen Truppenabzug aus Vietnam, der in endlosem Tauziehen zwischen US-Außenminister Henry Kissinger und dem nordvietnamesischen Bevollmächtigten Le Duc Tho in Paris ausgehandelt wurde und Anfang 1973 in einen Waffenstillstand mündete. Die Welt feierte damals diesen trügerischen Frieden. Der südvietnamesische Präsident Nguyen Van Thieu, der als Vasall Amerikas galt, reagierte jedoch gegen die Vereinbarung, die den sukzessiven Abzug der US Army und die Einstellung jeder Kampftätigkeit der US Air Force vorsah sowie eine starke Präsenz bereits im Süden eingesickerter nordvietnamesischer Armeeverbände duldete, mit wütendem Protest und fühlte sich durch Präsident Nixon verraten.
    Ã„hnlich wie heute im Irak wurde damals der westlichen Öffentlichkeit versichert, die südvietnamesische Nationalarmee sei in der Lage, dem Ansturm der Kommunisten standzuhalten. Das gleiche Argument wird nun im Hinblick auf die irakische Armee vorgetragen, die bis Ende 2011 auf sich selbst gestellt sein soll und angeblich in der Lage wäre, eine geeinte Republik Irak vor dem Zerfall und dem internen Chaos zu schützen. Seinerzeit in Vietnam hatte es zwei Jahre gedauert: Die südvietnamesische Nationalarmee zerbrach, und im Frühjahr 1975 rollten die Panzer mit dem roten Stern in das eroberte Saigon ein.
    Schon während des Wahlkampfes hatte Obama die Strategie seines Vorgängers Bush getadelt und ihr vorgeworfen, das Schwergewicht auf einen Waffenerfolg im Irak zu verlagern, statt dem Kriegsschauplatz in Afghanistan und dem Kampf gegen die dort verschanzten Terroristen von El Qaida Priorität einzuräumen. Vergeblich verweist die Regierung von Bagdad darauf, daß die ethnischen und konfessionellen Gegensätze zwischen Mosul und Basra längst nicht geschlichtet sind und daß noch im vergangenen Monat mehr als 500 Iraker einem schleichenden Bürgerkrieg zum Opfer fielen. Wie die internen Gegensätze mit Hilfe einer lokalen Nationalarmee überwunden werden können, wenn der letzte GI das Land verlassen hat, läßt sich heute schwer ermessen. Eines ist sicher: Die Islamische Republik Iran, die sich allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz einer direkten Intervention in die Rivalitäten von Bagdad weitgehend enthalten hatte, wird ab 2012 die Möglichkeit erhalten, ihren Einfluß auf ihre irakischen Glaubensbrüder des schiitischen Islam voll zur Geltung zu bringen.
    Schon wird das Pentagon vom Weißen Haus angehalten, Pläne für einen halbwegs ehrenvollen Abzug aus Afghanistan auszuarbeiten. Wie kritisch es dort um die internationale NATO-Truppe von immerhin 130 000 Mann steht, ist in jenem Geheimdokument sichtbar geworden, das mit Tausenden entschlüsselten Kampfschilderungen an die Öffentlichkeit gelangte. Von Einführung einer westlichen Demokratie redet ohnehin niemand mehr in Kabul. Allmählich erkennen die US-Stäbe, daß die größte Gefahr in diesem Raum von Pakistan ausgeht, wo die Armee und der Geheimdienst ISI über die wirkliche Macht und auch Atomwaffen verfügen. Die Spannungen zu den USA verschärfen sich dort jeden Tag. Selbst Rußland blickt sorgenvoll auf Afghanistan, denn eine Machtergreifung militanter Islamisten in Kabul würde zwangsläufig destabilisierende Folgen für die ehemals sowjetischen Teilrepubliken in Zentralasien haben.
    Obama in Bedrängnis
    06. 09. 2010
    Die weltweite Begeisterung für Barack Obama ist Enttäuschung gewichen. Ein solcher Pendelschlag war unvermeidlich. Seit einigen Monaten greift die Kampagne gegen den »schwarzen Mann im Weißen Haus« auf verleumderische Argumente zurück. So hält sich hartnäckig die Behauptung, der US-Präsident sei gar nicht in den USA geboren und habe deshalb keinen Anspruch auf das höchste Amt. Andere werfen ihm vor, er sei aufgrund der Religionszugehörigkeit seines ­kenianischen Vaters Muslim.
    Allzu schnell hatten die Optimisten in aller Welt über eine angebliche Versöhnung der Rassen in »Gottes eigenem Land« gejubelt. Heute blickt man mit bangen Ahnungen auf die

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