Die Welt der grünen Lady
als ich mit den Händen über diese Oberfläche strich, fühlte ich Erde und Sand, weiches Moos oder kurzes Gras.
Die Tatsache, daß das, was ich sah, und das, was ich berührte, nicht mehr übereinstimmte, war im Augenblick jedoch nicht so wichtig wie die Tatsache, daß Oomark verschwunden war und ich jetzt nicht einmal mehr sein Weinen hörte. Ich horchte wieder und rief ein paarmal, bis ich endlich eine erstickte Antwort erhielt. Sie kam von irgendwo jenseits des stacheligen Gebüschs, in das ich geraten war. Aber wie weit jenseits? Ich rief wieder und orientierte mich an seinen Antworten. Ich konnte jedoch nicht verstehen, was er sagte, und es klang so weit entfernt, daß ich überrascht war, als ich plötzlich vor ihm stand.
Er saß auf dem Boden und schien die graue Farbe seiner Umgebung angenommen zu haben, denn ich bemerkte ihn erst, als er sich bewegte.
Als ich erschöpft neben ihm niedersank, meine Tränen wegblinzelte und ihn mit brennenden Augen näher betrachtete, sah ich, daß ich mich nicht geirrt hatte – er war tatsächlich grau, über und über grau. Oder waren nur meine Augen daran schuld? Nein, ich konnte immer noch das Orange, das Gelb und das Rot sehen. Aber Oomark war grau, und seine Grauschattierung wurde vor meinen Augen immer dunkler!
»Ich gehe nicht dorthin! Bartare und die Lady, sie wollen nicht, daß ich komme! Und wenn ich trotzdem hingehe, werden sie etwas Schreckliches tun! Ich will nicht gehen!«
»Also gut, du brauchst nicht hinzugehen.« Ich war zu müde, um zu versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen. »Ich bin sowieso zu müde, um weiterzugehen.«
»Das kommt nur, weil du die Frucht nicht essen wolltest«, erklärte Oomark altklug. »Du willst dich nicht ändern …«
»Ändern?« fragte ich verständnislos.
»Ja, du mußt dich ändern, verstehst du. Wenn du es nicht tust, mag dich diese Welt hier nicht. Wenn du dich änderst – dann wird alles gut. Wirklich, Kilda!« Er streckte eine graue, kleine Hand aus, als wollte er die meine berühren, aber er berührte mich nicht.
Die Veränderung, die mit Oomark vor sich gegangen war – vielleicht lag es dann doch nicht an meinen Augen?
»Bist du verändert, Oomark?«
»Ich glaube schon. Aber wenn du dich nicht auch veränderst kann ich nicht bei dir bleiben, Kilda. Und … und ich möchte nicht allein sein! Bitte, Kilda, laß mich doch nicht allein! Bitte!« Er streckte beide Arme aus, als wollte er mich umklammern, aber ich bemerkte, daß er irgendwie nicht imstande war, die Bewegung auszuführen. Entweder konnte er mich nicht berühren, oder er wollte es nicht.
Als ich nun meine Hand nach ihm ausstreckte, wich er zurück. Dann stand er auf und ging langsam rückwärts, als hätte er Angst, ich könnte ihn anfassen. »Du mußt dich ändern, Kilda, du mußt!«
Er wandte sich um und rannte zu einer flammendroten Figur, die so sehr einer lodernden Fackel glich, daß ich vor Schreck aufschrie. Aber als er zu mir zurückkam, hielt er in seinen Händen irgendeine wabbelnde Masse. »Hier, iß das, Kilda. Du mußt es essen!«
Es hätte sicher einen Streit gegeben, denn er war fest entschlossen, mir dieses Zeug aufzuzwingen – aber in diesem Augenblick kam ein seltsames Geräusch von zwei feurigen Säulen her. Es klang rauh, heiser, und hätte ein Gemurmel von Worten in einer fremden Sprache sein können. Oomark ließ das Wabbelzeug fallen und stieß einen Schreckensschrei aus. Und dann rannte er Hals über Kopf davon. Und hinter ihm sah ich ein dunkelrotes Ding, das aussah wie zwei Dreiecke, die in der Mitte zusammengeschweißt waren. Von diesem Ding gingen diese merkwürdigen Laute aus – als ob es sich bemühte, sich in verständlicher Sprache mitzuteilen. So ungeschickt es aussah, folgte es Oomark jedoch schnell und zielstrebig. Ich hatte keine Ahnung, was es war, aber Oomarks Reaktion nach mußte es etwas Schreckliches sein. An mir zeigte es kein Interesse.
Mühsam kam ich auf die Füße und folgte seiner Spur. Es geschah alles so schnell, daß ich zunächst nur instinktiv handelte. Und dann trieben mich Angst und Entsetzen weiter. Daß Oomark immer noch rannte, von dem dunkelroten Ding verfolgt, hörte ich an den Geräuschen, auch wenn ich sie nicht mehr sehen konnte.
Ich nahm an dieser Jagd nicht sehr lange teil, denn plötzlich bewegte sich dicht vor mir eine knallrote Wellenlinie. Etwas schlängelte sich um meine Füße und brachte mich zu Fall. Der Sturz war schwer genug, um mir das Bewußtsein zu rauben.
Dunkel
Weitere Kostenlose Bücher