Die Welt der grünen Lady
Kosgro. »Reibe deine Augen damit ein!«
Ich zögerte.
»Wenn du hier eine Straße finden willst, dann ist das deine einzige Chance.« Jetzt war er ungeduldig. »Ich sage dir, ihre Art von Illusionen wirkt nur allzugut. Wir können uns darin verfangen und kommen dann nicht mehr heraus.«
Ich wußte, es war ihm ernst. Langsam hob ich die zerdrückten Blüten, schloß meine Augen und rieb die Lider mit den Blüten ein. Dann öffnete ich meine Augen …
Erschrocken hielt ich den Atem an, mir schien es, als wäre ich wieder in jenem Labyrinth der Erdhügel, wo Ungeheuer lauerten. Hier waren es jedoch Trümmerhaufen von Steinen, zum Teil mit Gras bewachsen und überwuchert, während der Weg, der eben noch geradeaus geführt hatte, jetzt nur noch ein schmaler Pfad war, der sich zwischen den Steinhaufen hindurchschlängelte.
»Was siehst du?« wollte Kosgro wissen.
Ich sah ihn an und blickte rasch wieder fort – mir wurde fast schwindlig. Die haarige Gestalt, die ich kannte, schwankte und verschwamm vor meinen Augen, war einmal dies und einmal das, bis ich überhaupt nicht mehr wußte, was ich sah. War das ein Mann, ein Mensch, den ich dort verschwommen vor mir sah – oder war es das haarige Geschöpf? Oder manchmal sogar ein riesiges, purpurnes Dreieck?
»Nicht!« murmelte ich und streckte bittend meine Hand aus, in der Hoffnung, daß er endlich wieder zu einer festen Form würde.
»Was siehst du?« fragte er wieder.
»Du … du hast keine feste Gestalt mehr …«
»Ich will nicht wissen, wie ich aussehe!« Die Stimme kam mitten aus dem bestürzenden Gewirr von Formen, die ineinander überzugehen schienen. »Was siehst du rings um uns?«
»Steinhaufen – Ruinen.« Ich wandte mich jetzt unserer Umgebung zu, die wenigstens konkret zu bleiben schien.
»Ist da eine Straße?«
»Ein kleiner Pfad.«
»Dann führe uns den Pfad entlang – und sieh dich nicht um!« Ich hielt meinen Blick nach vorn gerichtet und erholte mich langsam von der Panik, die mich angesichts der veränderten Formen von Kosgro erfüllt hatte.
»Was siehst du denn?« wollte ich wissen.
»Dasselbe wie vorher. Ich habe den Notus noch nicht benutzt – noch nicht. Was liegt vor uns?«
So gut ich konnte, beschrieb ich die eingestürzten Steinhügel, aber für mich sah einer wie der andere aus, keiner war irgendwie auffällig. Nur der Pfad war zertreten, er schien regelmäßig benutzt zu werden. Ich bemerkte Hufspuren und auch Abdrücke, die von gestiefelten Füßen zu stammen schienen. Von jetzt an berichtete ich Kosgro von allem, was ich sah, aber er stellte keine weiteren Fragen.
Endlich brach er sein Schweigen. »Wirklich nur weitere Steinhaufen? Wir sehen nämlich einige höhere Türme, und ich glaube, wir nähern uns dem Zentrum dieser Stadt.«
Und da bemerkte ich plötzlich doch eine Veränderung, denn als ich um eine Kurve bog, lag vor uns eine Erhebung, ein Bau, der nicht so verfallen war. Kein Gras wuchs auf den Steinen; die Blöcke der Mauern waren nackt, und unser Pfad führte zu einem massiven, offenen Tor in dieser Mauer. Wäre es hinter dem Tor dunkel gewesen, wäre ich nicht so bereitwillig hindurchgegangen. Aber jenseits lockte eine Lichterfülle, heller als irgend etwas, das ich bis jetzt in dieser dunstverhangenen Welt gesehen hatte.
So betraten wir das, was das Herz dieses Ortes sein mußte. Über uns war kein Dach. An den Wänden befanden sich in Abständen Ringe aus einem silbernen Metall, die leuchtende Kugeln umschlossen, von denen das Licht ausging.
Wir standen auf einem Pflaster, ähnlich jenem der Straße, die Kosgro gemeistert hatte. Es war aus verschiedenfarbigen Steinblöcken zusammengefügt; einige waren silbern, andere grün, manche kristallen. Aber nirgendwo entdeckte ich rote oder schwarze wie auf jener Straße.
Das Pflaster war ein Viereck, in dessen Mitte sich eine erhöhte Plattform befand, die ganz und gar aus Kristall bestand und ein sanftes, nebelhaftes Licht ausstrahlte. An den vier Ecken kräuselte sich dieser Lichtnebel stärker empor, als ob dort Feuer brannten.
In der Mitte der Plattform wogte ein merkwürdiger Dunst oder Nebel, der sich sammelte und wieder auseinanderging, vage Gebilde zu formen schien, wieder zerfloß und von neuem formte. Wie hypnotisiert starrte ich auf den fließenden Nebel.
»Kilda!« Ein Ruck an meinem Arm zerrte mich fort, und ich fand zu mir zurück.
Kosgros Ruf hatte mich nicht nur aus meinem Bann befreit, sondern auch eine Veränderung in dem wogenden Nebel
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