Die Welt der grünen Lady
als ob er Wache hielte. Kosgro saß neben Bartare, mit hängenden Schultern und immer noch auf das äußerste erschöpft. Langsam hob er den Kopf, als ich den Zweig triumphierend vor ihm schwenkte.
»Wir müssen irgendwie dort hinunter«, erklärte ich. »Dort ist ein ganzer Hain von Notusbäumen und …«
Als ich den Zweig hin- und herschwenkte, hatten sich einige der Blüten von meinen Armen gelöst. Sie schwebten durch die Luft, und ein paar davon fielen auf Bartares Gesicht und Brust.
Zum erstenmal bewegte sie sich – und nicht nur das, sie kam so rasch wieder zu Bewußtsein wie ein Schläfer, der von Gefahr geweckt wird. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um die Blüten fortzuwischen. Wir waren so überrascht, daß wir uns nicht rührten.
Kosgro griff nach ihr, aber zu spät. Sie entschlüpfte seinem Griff mit der Schnelligkeit eines flüchtigen Tieres. Eine der Blüten klebte an ihrem Finger. Sie schrie auf und schlug ihre Hand gegen ihren Körper, bis die Blüte abfiel.
»Bartare!« Ich ging auf sie zu, aber sie schrie wieder entsetzt auf und hob schützend ihre Arme, als wäre ich ein Ungeheuer. Bevor Kosgro sie erreichen konnte, wandte sie sich um und rannte in den Nebel hinein, fort von dem Rand des Felsens und fort von uns.
Ohne zu überlegen stürzte ich ihr nach.
Erst als der Nebel mich einhüllte, wurde mir meine Dummheit voll bewußt. Wie sollten wir uns alle je wiederfinden? Vielleicht konnten wir uns zusammenrufen, aber unsere Rufe würden gewiß auch die Aufmerksamkeit anderer auf uns lenken, denen wir nicht begegnen wollten.
Ich blieb stehen und horchte. Ich hörte Bartare laufen, aber wenn ich selbst mich bewegte, hörte ich nichts mehr. Ich blickte auf den Notuszweig. Die Graswurzel hatte uns zum Notus geführt. Konnte der Notus mich nun zu Bartare führen? Ich hatte kaum die Vermutung angestellt, als sich der Zweig in meiner Hand drehte, so daß die Gabel mit den Blütenbüscheln in eine bestimmte Richtung zeigte. Ich war sicher, daß nicht ich dies bewirkt hatte, und so folgte ich dem Notus, während ich mich mit meinen Gedanken auf Bartares Gesicht konzentrierte – wie damals, als wir Oomark suchten.
Der Notus führte mich weiter fort von dem Felsen, einen Hang hinunter und über Sand und Erde. Ab und zu blieb ich stehen, aber Bartare konnte ich nicht mehr hören. Dafür deuteten genügend andere Geräusche darauf hin, daß ich mich hier nicht allein befand.
Dann hörte ich plötzlich einen Ruf, der in der Luft vibrierte und körperlich zu spüren war. Und da mein Zweig in Richtung des Rufes deutete, ahnte ich, daß es Bartare war – und daß sie um Hilfe rief. Vielleicht stand sie einem der Ungeheuer dieses Landes gegenüber. Ob die Lady ihr zu Hilfe kommen würde? Dann konnte es sehr wohl sein, daß ich auf einmal beiden gegenüber stand, wenn ich das Kind fand.
Plötzlich hörte ich über mir ein aufgeregtes Lachen und sah auf. Auf einem kleinen Erdhügel hockte Bartare und starrte schadenfroh auf mich herab. Dann hob sie einen Arm und rief: »Komm her und laß dich füttern, Läufer der Finsternis!«
Es traf mich so unvorbereitet, daß ich wie angewurzelt dastand, als aus dem Nebel eine Gestalt auf mich zuschoß. Es war Shuck – oder ein Ungeheuer, daß ihm ähnlich genug war, sein Zwilling zu sein. Sein Maul war weit geöffnet, die Fänge entblößt, und Speichel rann ihm über das knochige Kinn.
»Da – iß! Iß nur!« Bartares Stimme war schrill und hatte nichts Menschliches mehr an sich. Dann fügte sie hinzu: »Ich danke dir, Kilda, wenigstens einmal bist du mir nützlich! Spiele mit Shuck, dann wird er mich darüber vergessen.«
Ich hob meinen Blütenzweig und streckte ihn Shuck entgegen. »Shuck!« rief ich laut.
Das unheimliche Geschöpf unterbrach seinen Lauf so unvermittelt, daß es über den Boden rutschte. Seine Tatzen gruben sich in die Erde, als es versuchte, zum Stehen zu kommen, bevor es mich überrannte. Und dann benutzte ich den Zweig wie eine Peitsche und schlug damit auf ihn ein. Shuck versuchte mir auszuweichen, wurde aber doch auf den Kopf und auf die Schultern getroffen und von den Blüten berührt.
Er sprang zurück und keuchte und hustete. Dann legte er sich flach auf den Boden, um sich von der anderen Seite an mich heranzuschleichen.
Aber jetzt ergriff ich die Initiative. »Shuck! Shuck!« Den Zweig über meinem Kopf schwingend, ging ich auf das Ungeheuer zu. Langsam wich es vor mir zurück, bis es schließlich den Kopf
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