Die Welt der Kelten
argumentierte
er mit einer fortwährenden Bedrohung durch die Helvetier. Sie zögen in steter Nachbarschaft zu römischen Gebieten quer durch
Gallien und stellten ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Ihre hungrigen Menschenmassen plünderten die Rom treuen Haeduer
aus und brächten damit das ohnehin schon gestörte Machtgleichgewicht unter den Barbaren durcheinander. Über kurz oder lang
würden die Unruhen auf die eigenen Provinzen übergreifen. Caesar musste im Übrigen nur an die Gallierkatastrophe von 387 vor
Chr. erinnern und an die jüngeren Züge der Kimbern und Teutonen. Auf diese Weise gewann er Rückendeckung aus Rom, sodass er
mit fünf Legionen, also bis zu 30 000 Mann, im freien Gallien einmarschieren konnte.
Nach mehreren kleineren Gefechten und ergebnislosen Verhandlungen kam es in der Nähe von Bibracte zur Entscheidungsschlacht
mit den Helvetiern, die durch ihren Treck stark behindert waren. Schutzlos vermochten sie nur mit Mühe den von einer Anhöhe
herabstürmenden römischen Reitern standzuhalten. Dann rückten die dicht gestaffelten Legionäre in drei Schlachtreihen vor
und schleuderten ihre Wurfspieße auf die keltischen Krieger. Deren gelichtete Scharen griffen mit der weit gerühmten gallischen
Todesverachtung die Römer an, wurden jedoch blutig abgewehrt. Dem Gegenangriff leisteten sie stundenlang erbitterten Widerstand,
bis sie sich schließlich in ihre Wagenburg zurückziehen mussten. Auch diese wurde |79| von Roms Soldaten eingenommen, wobei sie die Tochter des Orgetorix sowie einen seiner Söhne gefangen nahmen. Den geflohenen
Überlebenden ließ Caesar unerbittlich nachsetzen, bis sich der Reststamm bedingungslos unterwarf. Die Helvetier mussten Geiseln
stellen, die Waffen abliefern und in ihre alten Siedlungsgebiete zurückkehren. Nur 110 000 Menschen sollen Caesars Angriff
überlebt haben.
Nach dem raschen und vollständigen Sieg des Statthalters suchten ihn Gesandte vieler gallischer Stämme auf, um die neue Lage
zu sondieren. Immerhin stand nun das mächtige Rom mit seinen Legionären mitten im Land der Haeduer und damit im unabhängigen
Gallien. Die Gespräche führten zur Einberufung einer gesamtgallischen Versammlung mit dem anwesenden Caesar. Dabei mögen auch
die Sueben des Ariovist angesprochen worden sein, die sich inzwischen im Sequanergebiet zunehmend Land aneigneten. Wahrscheinlich
waren die Meinungen darüber geteilt, wer das größere Übel für die Gallier sei: der Germane Ariovist oder der Römer Caesar.
Dieser nutzte jedenfalls die Situation aus und ergriff die Gelegenheit, um tiefer nach Gallien vorzustoßen. Angeblich waren
gallische Häuptlinge mit Diviciacus zu ihm gekommen und hatten sich ihm weinend vor die Füße geworfen: Er müsse sie von dem
germanischen Barbaren Ariovist befreien und ihn über den Rhein zurücktreiben. Caesar erfüllte diese Bitten gern und brachte
sie mit Roms Interessen in Einklang: Auch die Wanderlawine der Sueben stelle eine Gefahr dar, die irgendwann Rom bedrohen
werde. Caesars anschließende Verhandlungen mit Ariovist, die sogar zu einem persönlichen Treffen führten, markierten den Beginn
jahrhundertelanger wechselhafter Beziehungen zwischen Rom und den Germanen, die nach dem Ende der freien keltischen Stämme
in Westeuropa zum neuen barbarischen Feindbild der Mittelmeerwelt avancierten. Die Legionäre besiegten die Sueben in einer
Schlacht bei Mühlhausen im Elsass, mit der im Jahr 58 vor Chr. der römische Einmarsch in Gallien erfolgreich abgeschlossen
wurde.
Anschließend erklärte der Feldherr den Rhein zur Völkergrenze, hinter der angeblich noch wildere Barbaren als die Gallier
hausten, vor denen Rom geschützt werden müsse. Um die Germanen abzuwehren, überschritt Caesar in den folgenden Jahren zweimal
den Rhein. Doch mit dem Entscheidungskampf um die Freiheit der gallischen Stämme hatten die Germanen nichts mehr zu tun.
|80| Die gallischen Stämme und Caesar
Mit Caesars Legionen standen auf einmal starke Truppen einer fremden Macht im Gebiet der unabhängigen Gallier. Die Reaktion
darauf waren überall erregte Debatten in den Ältestenräten und Versammlungen, wie damit umzugehen sei. Gallien stellte weder
ein einheitliches Reich dar, noch hatten seine Bewohner so etwas wie ein Nationalbewusstsein. Den Aristokraten stand jeweils
ihr eigener Stamm am nächsten; ihn galt es zu schützen. Was kümmerte die Stämme am Ärmelkanal die Not und Bedrängnis der
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