Die Welt der Kelten
ein und
befreiten die |143| Städte selbst von der Bedrohung durch die Barbaren« – wie es einer der wenigen zeitgenössischen römischen Autoren schildert.
Demzufolge nahm die römisch-keltische Provinzbevölkerung ihr Schicksal selbst in die Hand und baute sich eigene Staatswesen
auf. In London soll sogar ein König gewählt worden sein, der eine Regierung bildete und die Herrschaft über das Land beanspruchte.
Während man in den Städten versuchte, das römische Leben, so gut es ging, zu pflegen, wurden in vielen Gebieten Britanniens
wieder einheimische Traditionen aufgegriffen. Entsprechend alter Überlieferungen und des irischen Vorbilds etablierten sich
keltische Fürsten, die an ihre ferne Vergangenheit anknüpften. Sie zogen zu den Überresten der seit langen Zeiten ungenutzten
britannischen Hügelbefestigungen, bauten sie wieder auf und nutzten sie als Herrschaftssitze. Ebenso griff man auf vorrömische
Wirtschaftsformen zurück; man gab die Geldwirtschaft wieder auf und betrieb stattdessen den traditionellen Tauschhandel. Wie
in Irland zählten von nun an Rinder und Sklavinnen als Werteinheit.
Britannien teilte sich in eine Vielzahl von Herrschaften auf, von denen manche eher römisch, andere traditionell keltisch
und noch andere als Mischung beider Kulturen existierten. Sie richteten sich in den neuen Verhältnissen ein, und nicht alles
in dieser Zeit erschien den Menschen als finster. Doch da gab es weiterhin die Bedrohung durch die Pikten und die Skoten,
wie die Iren damals genannt wurden (erst später bezeichnete der Name die heutigen Schotten). Um sich ihrer zu erwehren, kam
– nach späteren Quellen – ein britannischer Fürst Vortigern auf die Idee, germanische Krieger zu Hilfe zu rufen. Er bot den
jenseits der Nordsee in Jütland siedelnden Angeln und Sachsen Land an, wenn sie die barbarischen Stämme zurückschlugen. Damit
beging er in den Augen späterer keltischer Geschichtsschreiber einen verhängnisvollen Fehler: Die angesprochenen Stämme ließen
sich nicht zweimal bitten. Sie wanderten in den Jahrzehnten um 450 massenweise in Britannien ein und eigneten sich willkürlich
das Land der Britannier an.
Diese wurden in ihrer eigenen Heimat zu Vertriebenen, die letztlich dem Ansturm nicht widerstehen konnten. Die so genannten
Angelsachsen bestimmten seither die Geschicke der meisten britischen Gebiete. Sie gaben nicht nur England seinen Namen (»Land
der Angeln«), sondern lieferten mit ihren germanischen Dialekten auch die Grundlage des Englischen. Die Sachsen hinterließen
ihre Spuren in den Namen von Sussex, Wessex und Essex, wo sie später einige ihrer Reiche gründeten. Die keltischen Britannier
wurden dagegen zu Fremden im eigenen Land, was die ursprüngliche Bedeutung von Wales ausdrückt (»Land der Fremden«). Sie zogen
sich in die westlichen Randgebiete zurück, nach Wales und Cornwall, wo die keltische Sprache und Kultur erhalten blieben.
Einige Gruppen entschlossen sich, ihrer Insel völlig den Rücken zu kehren. Sie wanderten auf die |144| Halbinsel im nordwestlichen Gallien aus, die von den Römern Aremorica genannt wurde und später Bretagne (»kleines Britannien«)
hieß. In dem – erst in der Neuzeit so genannten – Großbritannien sollten in Zukunft die Angelsachsen die Macht behalten.
Doch bevor dies geschah, leuchtete im »dunklen Zeitalter« noch einmal ein heller Hoffnungsstrahl für die Kelten auf. Denn
sie gaben sich noch nicht geschlagen und leisteten den Angelsachsen erbitterten Widerstand. Unter ihren Häuptlingen ragte
einer hervor, der später als König Arthur grenzenlosen Ruhm genießen sollte. Er brachte den germanischen Kriegern mehrere
schwere Niederlagen bei und konnte damit ihren Vormarsch für einige Jahrzehnte aufhalten. Die Geschichte von Arthur und seinen
Kämpfern ist so stark von Legenden und Sagen umrankt, dass ihr an anderer Stelle mehr Aufmerksamkeit gebührt (siehe Kapitel
6); denn sie ist vor allem Ausdruck keltischer Dichtung und Fantasie.
Kelten, Angelsachsen, Wikinger
Im frühen Mittelalter konnten sich also außer den Bretonen der Bretagne nur noch die Kelten auf den Britischen Inseln ihre
Selbstständigkeit bewahren – in Cornwall, Wales, Schottland, auf der Insel Man und in Irland. Deren keltischsprachige Bevölkerung
nahm das Christentum an und war teilweise vorzüglich mit der spätantiken Bildung vertraut – exemplarisch hierfür stehen vor
allem die irischen
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