Die Welt der Kelten
Erzählungen von den Britischen Inseln kennen
lernten und den Damen und Herren normannischer und anderer französischer Höfe weiter vermittelten.
|152| Die Handschriften der irischen Mönche
Die auffallenden Eigenarten der La Tène-Kunst fanden auch auf den Britischen Inseln Verwendung und überdauerten die Jahrhunderte,
während derer die keltische Kultur auf dem Festland unterging. In Irland fühlte man sich so stark den alten Traditionen verpflichtet,
dass sie sogar nach der Christianisierung der Insel weiter gepflegt wurden.Zwischen dem 7.und 9.Jahrhundert erlebten sie insbesondere
als Buchmalereien eine späte Blütezeit, der erst die Überfälle und Plünderungen der skandinavischen Wikinger ein Ende setzten.
Bis dahin hatten die frommen irischen Mönche eineVielzahl Gott gefälliger Handschriften geschrieben, deren Inhalt hauptsächlich
in der Wiedergabe der lateinischen Evangelientexte bestand. Die Art und Weise, diese heiligen Schriften zu schmücken, schöpfte
aus verschiedenen Quellen: Angelsächsisch-germanische Einflüsse mischten sich mit christlich-mediterranen Motiven und dem
Erbe der altkeltischen Kunst zu Meisterwerken der Kalligraphie und Buchmalerei. Darin herrschen Spiral- und Flechtmuster vor,
in denen sich Pflanzen und sich gegenseitig beißendeTierfiguren ineinander verschlingen und ganz offenkundig an die LaTène-Kunst
anknüpfen. Die Initialen derTextanfänge, die Darstellungen der Evangelisten mit ihren Symbolen, die Muttergottes und Christus
werden in diesem Rahmen gemalt. Darüber hinaus verweisen Buchseiten, die nur prächtigen Ornamenten dienen, auf die mönchischeVorliebe
für diese ausgeprägte Art der Darstellung.
|153| Letztendlich haben nur wenige kostbare Handschriften die unruhigen Zeiten des frühen Mittelalters überstanden. Zu ihren größten
Schätzen gehören die Bücher von Durrow undArmagh und vor allem das um 800 entstandene
Book of Kells
, das mit dem prächtigsten Ornamentschmuck verziert wurde. Dieser erregte die Aufmerksamkeit und Bewunderung des gelehrten
Klerikers Giraldus aus Wales, der um 1185 Irland bereiste und dabei auf eine herrliche Handschrift stieß. Sie war womöglich
das
Book of Kells
oder doch zumindest ein ähnlich beeindruckendes Werk, das den Betrachter in Erstaunen versetzte:
»Dieses Buch enthält die Harmonie der vier Evangelisten nach der Fassung des heiligen Hieronymus, und fast jede Seite zeigt
verschiedene Verzierungen, die sich durch verschiedene Farben unterscheiden. Hier kann man das göttlich gemalte Porträt des
Himmelsherrn, dort die mystischen Symbole der Evangelisten, alle mit Flügeln, bald sechs, bald vier, bald zwei, bewundern;
hier ist der Adler, der Stier, der Mensch und dort der Löwe neben anderen, beinahe überwältigenden Formen. Wenn man es oberflächlich
betrachtet mit einem gleichgültigen Blick, würde man es als eine Nichtigkeit und nicht als einen Schatz betrachten. Höchste
Perfektion zeigt sich überall, aber man muss es nicht erkennen. Erst wenn man genauer hinsieht, wird man das Geheimnis dieses
wahren Heiligtums der Kunst lüften.Man wird dann Feinheiten erkennen, so zierlich und ausgeklügelt, so genau und kompakt,
so voller Knoten und Windungen, mit Farben, so frisch und lebensnah, dass man glauben könnte, es sei nicht die Arbeit eines
Menschen, sondern eines Engels |154| gewesen. Je öfter ich das Buch sehe, je genauer ich es studiere, umso mehr verliere ich mich in immer neuem Staunen, und ich
erkenne mehr und mehr Wunder in diesem Buch.«
Die Laien nahmen noch weit andere Wunder an diesen Handschriften wahr. Denn sie hielten sie für wundertätige Gegenstände,
die man zu magischen Zwecken benutzen konnte – was nicht im strengen christlichen Sinne war.Trotzdem erzählte man sich Geschichten
der Art, ein solch heiliges Buch bleibe auch im Wasser trocken und Stückchen davon seien ein Heilmittel gegen Schlangenbisse.
Letzteres wurde nur außerhalb Irlands wiedergegeben, weil auf der Insel selbst in derTat keine Schlangen lebten. Manches pergamenteneWunderwerk
trug man zudem den Kriegern in der Schlacht voraus, weil man sich davon Schutz und Sieg versprach.
Neben den Illuminatoren christlicher Handschriften schufen im frühmittelalterlichen Irland auch andere Kunsthandwerker Arbeiten,
die den alten Traditionen folgten und damit unter anderem Motive der La Tène-Kunst verwendeten. Dazu zählten liturgische Geräte
wie Bischofsstäbe und Kelche,
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